Sonntagsarabesken #28

How airy and how earthed it felt up there,
Bare to the world, light-headed, volatile
And carried like the rests in tide or music.

Seamus Heaney, Seeing Things, No IV, 1991

Es ist Zeit, Abschied zu nehmen. Deine Augen haben sich geschlossen, aber die Erinnerung lebt weiter; das weiß ich, und daran glaube ich. Ich habe Dich nicht mehr gesehen, in Deinen letzten Wochen, und habe nicht mehr mit Dir gesprochen, bevor Du ins Dunkel gestürzt bist. So konnte ich Dir nichts von dem sagen, was sich jetzt mit ungeheurer, unheimlicher Wucht durch mein Gehirn wälzt. Ich habe Dich immer bewundert. Auf dem Spaziergang durch die Stadt stelle ich mir die Frage: Wie bist Du gestorben, wann und wo? Schlafend, im Nachthemd, in Deinem Bett, zwischen zwei Atemzügen, wenn man so sterben kann; ein plötzliches Wissen, oder gar kein Gefühl, ein schmerz- und ahnungsloses Dämmern, ein abrupter lähmender Schlag – ich weiß es nicht. Ich denke wieder an geschlossene Augen, an bewegungslose Lippen, eingefallene Wangen; das Bild des Todes, eines blassen, faltig gewordenen, grauen Todes, eines süßlich nach kaltem Schweiß riechenden und in den frühen Morgenstunden sich anschleichenden Todes. Der zwischen den Bettlaken lauert und auf die letzte Bewegung wartet. Der uns sanft umarmt, so dass der Körper noch Zeit hat, die letzten Sekrete von sich zu geben, wahrhaftig „sekret“, ein dezenter, geheimer, intimer Moment, die unwiederbringliche Schlußpose, die der Mensch einnehmen kann, und alle tun es wohl irgendwie verschieden, wobei ich mir nicht vorstellen kann, dass in dieser variatio irgend etwas Trost Spendendes liegen könnte. Das sind wirre Gedanken. Ich weiß. Aber Bilder, die mir nicht aus dem Kopf gehen wollen. Das Unaussprechliche wühlt zwischen den Vorhängen, eine schnell vorbeihuschende Kälte (oder Wärme), in einem Augenblick nach und vor einem anderen, gewöhnlichen, vielleicht kurz nach einem Lidschlag oder vor dem Knarren des Parkettbodens, dann greift etwas zu, dieses Etwas, dem wir Kraft und Macht zubilligen wollen, obwohl es doch der denkbar schwächste und fragilste Moment auf dieser Welt ist, die Wiederholung eines Themas in Moll, das Verlöschen der Lichter, die Entspannung vor dem Einschlafen. Du bist gegangen. Ich? Fremd und weit entfernt, mit einem Fuß am Meeresstrand und den Blick nach Süden gerichtet; nichts konnte ich sehen, und doch versuche ich jetzt verzweifelt, mir alles vor Augen zu führen. Ich sehe das goldgelbe Licht, das vielleicht Deine Wangen gestreichelt hat, wärmend, ein Schimmer von Frühling, ein Wink, dass es Zeit sei, Zeit zu einem letzten kleinen Wagnis, dem man nicht mehr entkommen kann. Ein Licht, in dessen Verlängerung bald die ersten Blüten sprießen und Knospen grün leuchten werden. Es hat Dich in das Jahr hinein getragen und im Arm gewiegt. Aber wie soll ich sie ertragen, diese Sonne, deren verlöschende Strahlen Deine schweren Lider geküßt haben?