Sonntagsarabesken #53

D. öffnete die Haustür, und trockene Kälte schlug ihm entgegen. Er fühlte sich ganz und gar nicht wohl, als ihm die Luft unter den kurzen Mantel fuhr. Auf dem Weg zur Straßenbahn dachte er wieder und wieder an Toms Vorhaltungen und Anspielungen. „Und was ist mit dem Mädchen von dem Kongreß?“ – alles, alles soll mit ihr sein, nichts ist mit ihr! – „Krankhaft verliebt, vielleicht?“ – ja, vielleicht! D. stieg in den vordersten Wagen und ließ sich auf einen Sitz neben der Heizung fallen, schon jetzt entkräftet und lustlos. Tom hatte recht, und vor allem in jenen Punkten, die schmerzhaft wahr waren. Ich sage nur die Wahrheit. – ja, leider! Ja, wie schön! Dazu kam die Erinnerung an Abende im März, mit Trockenblumen und Rotwein. Die schwarzen Haare eines Mädchens (auch sie war zweiundzwanzig gewesen) über dem schimmernden Weiß ihres Nackens. Dreizehn Jahre alt waren diese Bilder. Keines davon war ihm abhanden gekommen. In provencalischer Trägheit hatte damals ein Tag dem anderen geglichen; das azurblaue Meer, zerknittert unter der Terrasse des kleinen, allein stehenden Ferienhauses, Marseille war nicht weit, und jeden Tag fuhren sie in der Früh mit dem Auto nach Aix zu Marthas Orchesterproben. Bei ihrer Ankunft fand sie den Steinway-Flügel verstimmt vor. Die Seebrise hatte ihm in den Wintermonaten wohl nicht gut getan. Erst nach etwa einer Woche war es möglich gewesen, einen Klavierstimmer aus Marseille kommen zu lassen. In dieser Zeit (besonders in dieser Zeit) der Ruhe, des unaufgeregten Geschehens, wanderte Martha stundenlang durch die sanft gewellte Landschaft und sammelte bunte Blumensträuße, die sie hinter der Eingangstür zum Trocknen aufhängte. Wie prächtige Jagdtrophäen begrüßte die ständig wachsende Zahl von Trockenblumen den eintretenden Besucher. Ihr leises Rascheln und Knistern erzählte von den sanften Bahnen des Abendwindes bei geöffneter Veranda und von Marthas geduldigen Fingern, die betasteten und sortierten und auswählten. D. stand im angrenzenden Wohnzimmer und ließ in schrägen Bahnen seine Augen auf der konzentriert gebückten Gestalt des Mädchens ruhen, das sich unbeobachtet fühlte. Die drückende Last der Zeit war in diesen Augenblicken von ihm abgeglitten. Er spürte nur noch eine grenzenlose Zufriedenheit. Und seine Liebe.