Sonntagsarabesken #82

Über ihm das Kreisen des Ventilators an der von schwarzen Punkten überzogenen Decke. Es sind Fliegen, eine ganze Wolke, die das Licht angelockt haben dürfte. Er liegt in Pölstern, versinkt in der schweißgesättigten Dichte teurer Stoffe, spürt, wie sich feuchter Brokat rauh an seinen Nacken schmiegt und inhaliert den Rauch einer lieblos gedrehten Zigarette. Seine Lungen brennen und füllen sich mit dem gelben Miasma des Fiebers. Das ist die letzte Stunde des Ganimede Moreira. Er denkt an die Frau, die vor ihm hinter den Horizont geflohen ist. An das Flugzeug, das sie schon außer Landes brachte, während er noch versucht hatte, sie anzurufen. Im Glauben, sie sei heute und morgen und für immer in der Stadt. Lissabon. Ein Frühlingsabend. Oleander und Straßenstaub, ein Cello und plätscherndes Wasser. Zwei Stunden, in denen er an sie gedacht und sie ihn betrogen hat. Betrogen durch ihr Verschwinden. Er lacht auf. Betrogen? Wer hatte nun wirklich zuerst betrogen? Spielerisch wechselt er die Fronten und nennt sich selbst ein Arschloch. Er spricht das Wort in ihrem Tonfall aus, und das Echo kommt nicht vom Ende der Welt, von irgendwoher hinter dem Horizont, sondern aus seiner eigenen Kehle. Geisterstunde. Er hat betrogen. Sie hat gehofft. Wurde enttäuscht. Und ist geflüchtet. Eine logische Abfolge von Aktion und Reaktion. Eine Kette konsequenter Handlungen. Und doch rätselhaft für ihn; nicht deshalb, weil es so geschehen ist, sondern weil es überhaupt geschehen konnte. Warum? Und mit welcher Wirkung auf seinen jetzigen Zustand? Tragisch? Oder komisch? Ganimede spürt, dass ihm die Kontrolle über seine Augen zu entgleiten droht. Er kann nichts dagegen tun. Genausowenig wie gegen die Abreise der Frau, deren Lächeln er in alptraumhaften Sequenzen immer wieder vor sich sieht. Er schluckt blauen Qualm. Nichts. Kein Gefühl. Kein Schmerz. Sie ist weg, und das ist gut. Jetzt kann er nur noch eine seltsam schwerelose Erleichterung in sich bemerken. Als ob ihre Nähe einen Druck auf seiner Brust bewirkt hätte; als ob die ständige Möglichkeit ihres Erscheinens ihm gefährlich gewesen wäre. Die Gewißheit ihrer Abwesenheit nimmt ihm eine Last von den Schultern. Und trotzdem fixiert er die Blätter des Ventilators, und trotzdem verweigern ihm die Organe langsam aber sicher den Dienst. Ein Stück herausgeschnitten aus seinem Körper. Amputation. Das Loch, die Leerstelle füllt sich mit Langeweile, mit Alltagsabfall und Gefühlsresten. Jetzt ist es voll bis oben hin. Er greift nach dem Glas auf dem Beistelltisch. Die milchige Flüssigkeit lächelt ihn freundlich an. Ganimede Moreira prostet sich selbst und der Unsichtbaren zu, mit einem maliziösen Lippenspiel, das nichts an Stil und Lebensverachtung vermissen läßt. Dann nimmt er einen großen Schluck. Er schließt die Augen und wartet. Nur kurz.