Sonntagsarabesken #83

Ein Abend, der die Schwüle längst vergangener Sommerstunden ahnen läßt. Die Dinge haben sich seitdem verrückt. Verrückt im wahrsten Sinne des Wortes. Das Begehrte ist zum Vertrauten geworden; die Sterne sind wieder in ihre natürliche Umlaufbahn eingetreten. Flüchtiger Dampf über dem mondbeschienenen Donaukanal. Die zerknitterte Oberfläche des wellenbewegten Wassers. Augen, die das Verborgene hinter dem fremden Blick suchen. Und Wünsche, die scheitern, noch bevor sie ausgesprochen wurden. Das ist die Vergangenheit, die von einem Algenschleier bedeckt auf dem schwarzen Sand des Meeresbodens liegt. Dort schläft sie und rührt sich kaum noch; wenn doch, dann verursacht die kurze Bewegung einen flüchtigen Schmerz, leicht wie ein unbedeutender Lufthauch. Was ist aus dem heiligen Wahnsinn von einst geworden? Sind die zart angeschlagenen Akkorde des Klaviers Opfer der Wiener Wintertage geworden? Ölig schimmert die Wasserfläche aus der Erinnerung. Spiegel der Dinge, die noch nicht geschehen und also unbekannt sind; doch auch jetzt, nach Eintreffen all dieser nicht geahnten Ereignisse in ihrer tatsächlichen und unwiederbringlich einzigartigen Verkettung, scheint es, als sänken sie immer schneller wieder in den Nebel des Unbekannten zurück. Als wären sie nie geschehen, oder besser: Als bestünde ihre Substanz aus nichts anderem als dem Treibgut im Sog einer unermüdlich mahlenden Brandung. Von ihr werden Worte zu Staub zerrieben, so auch diese, die nach fast zwei Jahren den Kontakt mit der Wahrheit verloren haben: „Dal più remoto esilio – die Schwüle einer allzu heißen Frühlingsnacht, die Hitze eines allzu schnell erglühten Herzens, alles kühlt sich ab, nach reinigendem Regen, nach dem Prasseln hastiger Gedankensplitter, wenn das Glas dieser filigranen Häkchen durch die Haut meines Bewußtseins gedrungen ist, wenn es unter der Hirnmembran brennt, wenn die Gefühle wieder unter Kontrolle sind, die Trommel des Gewissens einen unhörbaren, nur dem Tauben zugänglichen Takt schlägt.“ Es ist ein Abschied auf Raten, und doch: Der Lauf der Zeit. Ein letztes Flackern, das sich im Glanz des neuen Tages bereits aufgelöst hat.