Sonntagsarabesken #105

Der Schweiß des Sommers ist verdampft. Die Schritte bewegen sich wieder in ausgetretenen Bahnen; das Bewußtsein kehrt der Angst den Rücken zu. Die am Tag der Abreise noch mit Rosen bewachsene Wand der Glaserei ist jetzt kahl; und die Gespräche steigen auf zwischen weinrot verfärbte Blätter und messerscharf umrissenes schwarzes Geäst. In manchen Farben und Gerüchen kündigt sich bereits der Winter an. Mancher Atemzug schmeckt bereits nach Eiseskälte. Regennasser Asphalt, beklebt mit Herbstlaub, schluckt das harte Geräusch der Ledersohlen. Mitternachtsspaziergang. Ein Schatten gleitet durch dunkles Gassengewirr. Lautlos, körperlos, gedankenschwer. Vor wenigen Stunden noch hat er sie in den Armen eines Anderen, jenes Anderen gesehen; ein Schmerz in der Magengegend, als ob jemand, ein Anderer, jener Anderer die Faust um seine Eingeweide geballt hätte, sich festgekrallt zwischen dem Darmgeschlinge, daran reißend, das Innere nach außen zerrend. Er drückt mit aller Kraft die lackierten Türflügel auseinander und stürzt auf die Straße. Gelbes Licht. Die Regentropfen sehen aus wie silbrige Durchschüsse in golddurchwirkter Seide. Über seinem Kopf steht ein seltsam verzerrter Sichelmond. Geruch nach brackigem Wasser, Abgasen, Jasmin und teurem Eau de Toilette. Mit einer blauen Sektflasche unter dem Arm macht er sich auf durch die Innenstadt. Das Kopfsteinpflaster gibt den Takt vor. Walzerselig taumelt er voran. Betrunken. Und betäubt von dem Gedanken an die Hände, die jetzt, im selben Augenblick, auf begehrter weißer Haut liegen, über geliebtes blutdurchpulstes Fleisch gleiten könnten. An der nächsten Hausecke schlägt er sich die Stirn blutig. Es sind rauhe Kalksteinquader, die er mit Fußtritten traktiert. Eingeschlossen in den dunklen Stein feinhaarige Schnecken und Pflänzchen, die seinem Wahnsinn die Ruhe der Jahrmillionen entgegenhalten. Lächerlich, das Theater. Eine Vergeudung von Zeit und Energie. Einer einzigen Frau wegen. Er übergibt sich gründlich in das braune Rinnsal der Operngasse. Dann nimmt er ein Taxi nach Hause. Die blaue Flasche bleibt zurück. Leer und vergessen, wertloses Gefäß enttäuschter Träume. Jetzt, in der Vorstadt, umgeben von wuchtigen Kastanienbäumen, die eigenen Schritte nicht hörend, auf einem Teppich der Fäulnis spazierend, fühlt er sich leichter. Die Last der Bilder ist von ihm abgefallen. Das Wühlen der Hände hat aufgehört. Die Schmerzen haben sich in einen entfernten Winkel seines Kopfes zurückgezogen, irgendwo zwischen den Ohren. Er atmet ruhig und hört sich dabei zu. Das Geräusch klingt wunderschön. Mit einem Lächeln auf den Lippen dreht er sich um die eigene Achse. Im Dunst der Nacht schläft friedlich die Stadt. Am nächsten Tag wird er verschwunden sein.