Einkommensverteilung in den USA

Ich habe hier schon einiges zur Vorstellung und Wirklichkeit von Einkommensverhältnissen geschrieben. Egal, ob es sich um die Diskrepanz von Vorstellung, Ideal und Wirklichkeit in den USA oder Österreich handelt, das Resultat ist immer das gleiche: Die Verhältnisse werden massiv unterschätzt. Das wundert auch kaum, denn sie sind zum Teil nicht vorstellbar.

Heute bin ich auf einen Artikel von Jeremy Keeshin gestoßen, der ein Tool vorstellt, mit dem man (als US-Amerikaner) berechnen kann, „welchem Prozent“ der Einkommensverteilung innerhalb der US-Bevölkerung man zugehörig ist. Viel interessanter als das Tool selbst ist allerdings Keeshins Artikel zum Thema Einkommensverteilung in den USA. Darin entblößt er anhand der notwendigen Zeit, um das amerikanische Durchschnittseinkommen zu verdienen, die nicht mehr in Worte fassbaren Vermögensunterschiede innerhalb der USA. Wofür eine Person mit mittlerem Einkommen, also der Großteil der Bevölkerung der USA, ein Jahr lang arbeiten muss, verdient eine Person die aufgrund ihres Vermögens zu den 0,00001 Prozent in der Verteilungsliste gehört, in nur 3 Minuten.

Oder, in anderen Worten bezogen auf die Unmöglichkeit, diese Verteilung überhaupt grafisch fassbar zu machen:

If this graph is taking up 6 inches [ca. 15 Zentimeter] on your display then the full graph should be 1.70 miles [ca. 2,7 Kilometer] and the small bar showing everyone in the United States would be one pixel. That is actually the skew. You’d draw a dot, then walk for 35 minutes and that would be how far away the graph would be at scale. […] For [the people at the top] to buy off a politician for $1 million dollars is like you buying a coffee. Actually it’s not that either. It’s like you dropping a penny on the sidewalk accidentally.

Einatmen. Ausatmen.

Noch einmal für alle, die die Implikationen dieses Vergleichs noch nicht ganz verstanden haben: Wenn man die Einkommensverteilung der USA grafisch korrekt darstellen wollte, so wäre das Element, das das Einkommen der unteren 99,9999 Prozent der Bevölkerung (!) darstellt, ein „Balken“ mit einer Seitenlänge von einem Pixel. Der Balken, der das Einkommen der oberen 0,00001 Prozent darstellt, wäre im krassen Gegensatz dazu eine 2,7 Kilometer lange Linie1. Und wenn wir von 0,0001 Prozent der Bevölkerung sprechen, dann geht es nicht um eine verschwindend kleine Menge von ein paar Personen, sondern (bei einer Einwohnerzahl der USA von über 300 Millionen) um etwas mehr als 3.000 Menschen!

„Reichtum“ ist spätestens damit ein mittlerweile nicht mehr begreifbares Konzept geworden. Unser geistiges Bild davon stellt immer eine Relation dar, die Reichtum und Vermögen als weniger (als ich) oder mehr (als ich), damit also abhängig von einem angenommenen Mittelwert, wiedergibt. Die zum Verständnis der Implikationen notwendige Vorstellbarkeit so einer Relation hat aber ihre Grenzen. Wenn dieser Reichtum nicht einmal mehr geistig erfahrbar oder mittels unserer Kulturtechniken bei niedrigem Abstraktionsniveau auch nicht mehr darstellbar ist, dann entrückt das Spezifikum der Möglichkeit seines Vergleichs mit der Norm.

Was das bedeutet? Das bedeutet, dass das Vermögen der 0,00001 Prozent eine eigene Qualität außerhalb unserer Normen, Vorstellungen und Annahmen ist. Und was das impliziert, ist unvorstellbar.


  1. Ich habe diese Zahlen natürlich nicht geprüft, doch selbst, wenn sich Keeshin um den Faktor 10.000 irrt, ist die Verteilung immer noch jenseits von Gut und Böse.