Arrival und AI

Es gibt einen, wenn auch losen, Zusammenhang zwischen Ted Chiangs "Story of your life", Denis Villeneuves "Arrival" und der Transformer-Technologie, die generative KI erst möglich gemacht hat.

Es gibt hin und wieder, selten, aber doch, Momente in meinem Leben, in denen es mir die Sprache verschlägt oder eine andere physische Reaktion den Impact signifiziert, den etwas, das ich eben erst gelesen habe, auslöst. Das letzte Mal, dass so etwas passiert ist, ist gar nicht so lange her, und es war ein Tweet oder eine Nachricht auf Bluesky, ich weiß es nicht mehr so genau, in der ein Zusammenhang zwischen Ted Chiang, Arrival, Transformern und der Entwicklung von künstlicher Intelligenz hergestellt wurde. Doch alles der Reihe nach, denn das alles macht nur dann Sinn, wenn man ein paar Basics über Ted Chiang, Arrival, Transformer und KI weiß.

Fangen wir mit Ted Chiang an.

Ted Chiang ist Science Fiction-Autor und Verfasser einer Kurzgeschichte mit dem Titel „Story of your life“. In dieser Kurzgeschichte geht es um das Eintreffen von Außerirdischen auf der Erde, wobei die Kommunikation mit ihnen schriftlich stattfindet (da Menschen nicht in der Lage sind, die „gesprochene“ Sprache der Aliens nachzuahmen). Die Schriftsprache der Außerirdischen wartet mit der Besonderheit auf, nicht auf Worten, sondern auf vollständigen Aussagen zu basieren; ein Zeichen steht also nicht nur für ein Wort, sondern für eine ganze Aussage. Dies erkennt die Protagonistin der Geschichte, eine Linguistin, die nicht nur mit den Außerirdischen in Kontakt tritt, sondern, durch die über die Schrift vermittelte Denkungsart der Außerirdischen, Erkenntnisse für ihr eigenes Leben und das ihrer Tochter ableiten kann.

Ted Chiang ist aber nicht nur Science Fiction-Autor, er hat sich auch äußerst kritisch zur gegenwärtigen Nutzung der Technologie „Künstliche Intelligenz“ geäußert und sieht Probleme auf uns zukommen, die sich aus der Verehrung, Idealisierung und Potenzierung der Technologie ableiten. Für Ted Chiang stellt das, was KI gegenwärtig leisten kann, ein unscharfes Bild des Web dar, einen imperfekten Füllmechanismus, der bei der Dekompression komprimierten Wissens, Daten erzeugt, die wir, weil fehlerbehaftet (gilt in beiderlei Bezug!), als „intelligent“ wahrnehmen. Er ist der Technologie gegenüber nicht abgeneigt, nimmt sie aber deutlich weniger potent wahr als es diejenigen tun, die sie verkaufen wollen, tritt ihr kritisch gegenüber und sieht in der Mystifizierung der Technologie ein den Fortschritt behinderndes Momentum. (Ein Argumentationsstrang, KI als falschen Gott zu sehen, der uns Menschen innezuwohnen scheint.)

Die Kurzgeschichte wurde zur Romanvorlage für den von Denis Villeneuve im Jahr 2016 heraugebrachten Film Arrival, der von Evan Puschak als eine sehr willkommene Antwort auf die schlechten Filme der Zeit bezeichnet wurde. Und ja, der Film ist tatsächlich hervorragend. Er ist ansprechend, anspruchsvoll, weit vom Niveu der Marvel-Filme, die zu dem Zeitpunkt die Kinos überschwemmt haben, entfernt, und kann mit wunderbaren Bildern, vor allem aber mit ganz herausragender Filmmusik aufwarten. Ich glaube, dass alle, die auch nur irgendwie ein Faible für echte Science Fiction haben, diesen Film gesehen und ihn für gut befunden haben.

Nun zu Transformern und künstlicher Intelligenz.

Wer sich schon einmal damit beschäftigt hat, wie ChatGPT funktioniert, wird bald schon auf den Begriff des Transformers stoßen, einer von Google-Wissenschaftlern entwickelten Technologie, die Kontext „verstehen“ und den Prozess der Generierung von Daten nicht nur verbessern, sondern auch massiv beschleunigen kann. Transformer nutzen nicht nur Tokens (also Wörter oder Wortteile) und benutzen statistische Wahrscheinlichkeiten, um sie passend aneinander zu reihen, sondern sie analysieren ganze Sätze (oder Satzteile) auf einmal, wodurch sie Informationen über den Kontext eines jeden einzelnen Wortes innerhalb eines Satzes erlangen können. Da sie mit größeren Informationseinheiten arbeiten, sind sie viel schneller und machen das, was wir KI nennen, dadurch erst skalierbar. Das Prinzip des Transformers funktioniert nicht nur für Texte, sondern für alle Formen von Daten und ist damit der Grundbaustein für generative KI.

Und zuletzt: das Aufeinandertreffen.

Ted Chiang ist der KI-kritische Science Fiction-Autor, der „Story of your life“, die Romanvorlage für „Arrival“, verfasst hat. Darin geht es um Aliens, die sich mit Menschen mittels einer auf ganzen Aussagen – und nicht nur auf einzelnen Worten – basierenden Schriftsprache unterhalten. „Nicht auf einzelnen Worten“, sondern „auf Basis ganzer Aussagen“ klingt doch sehr nach dem, was in der KI-Wissenschaft als „Transformer“ bezeichnet wird, oder? Und siehe da, es gibt einen, wenn auch schwachen, Zusammenhang, der in mir, als ich davon las, den oben beschriebenen Moment ausgelöst hat: Einer der Google Wissenschaftler, die das Transformer-Modell entwickelt haben, ist Illia Polosukhin, ein Science Fiction-Fan aus der Ukraine, der schnell eine Ähnlichkeit des ihm eben von seinen Kollegen vorgeschlagenen Modells, ganze Informationseinheiten und nicht einzelne Wörter zu berücksichtigen, zu einem Film, den er eben erst im Kino gesehen hatte, erkannte. Dieser Film war: Arrival.


Nachsatz: Es geht nicht um Beeinflussung, Inspiration oder sonst irgendeinen, vielleicht sogar kausalen Zusammenhang zwischen Ted Chiangs „Story of your life“/Arrival und generativer KI, aber es ist eine nette Anekdote. In diesem Thread auf Bluesky gibt es noch einige Hinweise, Links und Textpassagen, die tiefer in die Entstehungsgeschichte des Konzepts des Tansformers eingehen und in dem es zumindest Hinweise auf die nötige Präzision gibt, die notwendig wäre, um das, was geschehen ist und wie es zur Technologie gekommen ist, korrekt nachzuerzählen.

Aber eine nette Geschichte ist es trotzdem. Und solange Leserinnen und Leser sich merken, dass es einen, wenn auch weit entfernten, Zusammenhang zwischen Science Fiction und echter Wissenschaft gibt, wenn der Gedanke, dass das eine das andere inspirieren kann, erhalten bleibt (oder gezündet wurde), dann ist alles getan, worauf ich hinaus wollte.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert