Seit der Münchner Sicherheitskonferenz, die JD Vance dazu genutzt hat, den Europäern zu erklären, was sie nicht alles falsch machen, habe ich, nachdem sich das erste Aufbrausen am Kontinent beruhigt hat, immer und immer wieder aufgeschnappt, dass politische, historische oder militärische Kommentatoren von der Möglichkeit, ja, von einer Chance für Europa sprechen, sich neu auszurichten und sich neue Verbündete zu suchen.
Nun reiht sich auch der US-Historiker Timothy Snyder in den Reigen derer ein, die genau das als wahrscheinliche Reaktion ansehen und in der durch Musk und Trump verursachten Schwäche (!) der USA eine Chance für Russland, China und, in Folge, auch Europa sehen.
In the alliances that held through January 2025, the United States was an unrivaled power. […] Without the alliances, however, the equation is different. It is not just that the United States loses the economic, military, and political strength of its allies. It is that the U.S. must now compete with them and try to subordinate them. […] A Ukraine that is abandoned by the United States and threatened by Russia could well turn to Beijing as a protector. […] Likewise, a Europe that has been advised by the United States that it is regarded as a colony rather than an ally will have every reason to turn to China, not so much for protection as for balance. […] The abandonment of a regime of predictability and law also diminishes the United States. Musk-Trump can help Beijing and Russia to create a world of empire, because they can destroy an order that others created over generations. They will be powerless to create something else in its place, at least in the traditional sense of an order that serves Americans and their freedom and prosperity. […] As in domestic policy, so in foreign policy: a performance of strength covers real weakness.
Timothy Snyder
Wahrscheinlich hat Timothy Snyder in einem Punkt Recht: Was Musk und Trump momentan zerstören ist ein auf dem Rücken einer gemeinsamen Vergangenheit und eines gemeinsamen Gegners, aber auch eines gemeinsamen Ziels aufgebaute Bindung zwischen Europa und den USA. Niemand will hier (in Europa) eine Änderung dieser Bindung, niemand ist interessiert daran, in den Strudel zu geraten, der taktieren und „Deals machen“ zum Alltag macht. Wir hier (in Europa) haben uns auf die USA verlassen, wenn es darum ging, Klassensprecher zu sein. Wir nutzen US-amerikanische Produkte und Services, bezahlen, was zu bezahlen ist, und reden uns ein, den Amerikanern dafür ihre großen Auftritte auf der Weltbühne zu überlassen. Vielleicht ist das ja nur mein Eindruck, aber auf mich hat jegliche EU-Konferenz immer so gewirkt als ob wir insgeheim froh wären, dass es die Amerikaner gibt, denn die werfen sich ins Getümmel, während wir nur darüber sprechen.
Nun, da diese Allianz ins Wanken geraten ist, nun, da Musk und sein Trump durch ihre Taten einen Spalt in die Wahrnehmung des Gefühls einer historischen und kulturellen Zusammengehörigkeit zwischen Europäern und Amerikanern treiben, beginnt es aber schwierig zu werden, die Fiktion, die ich oben beschrieben habe, aufrecht zu erhalten. Was bis Jänner 2025 noch ein einhundertprozentiges Verlassen auf den Partner auf der anderen Seite des Atlantiks war, das stille Wissen, dass wenn es kracht, die auf dem anderen Kontinent für uns da sind (und das gilt für beide Seiten), ist offenbar dahin.
Wir leben in spannenden Zeiten, denn die Auflösung dieser über hunderte Jahre währenden Partnerschaft in weniger als einem Monat, ist schon ein starkes Stück. Oder, wie JD Vance sinngemäß sagen würde: Wenn zwei Männer es schaffen eine über so lange Zeit praktizierte Freundschaft in weniger als einem Monat aufzulösen, dann war sie wohl von Beginn an nicht das, wofür wir sie gehalten haben.