Community Notes statt Faktenchecks

Community Notes statt Faktenchecks auf den großen, meinungsbildenden Plattformen. Na das wird ein Spaß werden!

Meta beendet auf seinen Diensten Facebook, Instagram und Threads die Zusammenarbeit mit externen Faktencheckern und implementiert, ähnlich wie es auch bei X vorzufinden ist, Community Notes. Das ist im Grunde eine Art Kommentarfunktion, die Userinnen und User nutzen können, um auf die Wahrnehmung von Beiträgen korrigierend einwirken zu können, wenn sie hinter dem Inhalt Falsch- oder Fehlinformation vermuten. Die Korrektur beschränkt sich dabei auf einen Hinweis, dass es gegensätzliche Positionen zum eben veröffentlichten Inhalt gibt, mit weiterführenden Links, die die Gegenpositionen anzeigen sollen.

Elon Musk’s X […] relies heavily on its users to police its site for misinformation in a program called Community Notes. YouTube has also begun testing a similar feature […]. The decisions to move away from strict rules about what is allowed on the sites and employing thousands of content moderators to police them follows yearslong complaints from Republicans that social media companies effectively censored conservative voices.

NY Times

Im Großen und Ganzen wird der Schritt in den USA positiv, wenn auch als Anbiederung an Trump gesehen. David Heinemeier Hansson, zum Beispiel, sieht in Zuckerbergs Ankündigung das Ende der Ära der Zensur in den sozialen Medien, weist aber im gleichen Atemzug auf die nun größere werdende Schere im Umgang mit freier Meinungsäußerung zwischen den USA und Europa hin. Er ist allerdings ein ganz großer Twitter-/X- bzw. Elon Musk-Fan und sieht in ihm (und Trump) die Rettung vor Unterdrückung und Einschränkung der freien Rede.

Both Meta and Twitter received direct instructions from the US government […] on what was to be considered allowable speech and what was to be banned. […] Everything from questioning the origins of the Covid virus to disputing vaccine efficacy to objections on mass migration […] all qualified for heavy-handed intervention. The primary rhetorical fig leaves for this censorship regime was „hate speech“ and „misinformation“ […] mere descriptors of „speech we don’t like“. […] But it’s also adding to the growing chasm between America and Europe. […] The delusional UK police commissioner is […] threatening to „come after“ people from around the world, if they write bad tweets. […] Thierry Breton, the former European Commissioner, spent much of last year threatening American tech companies, and Elon Musk in particular, with draconian sanctions, if they failed to censor on the EU’s behest.

David Heinemeier Hansson

Die Nähe und die Wahrnehmung von Metas Aktion als Anbiederung an die Republikanische Partei ist durchaus offensichtlich, weshalb man, ich denke, das kann man ruhig so sagen, Herrn Zuckerbergs Maßnahmen für die freie Meinungsäußerung so absolut gar nicht wertschätzen darf. Es ist wirtschaftlicher Pragmatismus und kein neuer Zugang zu einer Thematik. Freie Rede gerne, aber nur, weil’s Trump und Musk so wollen, sozusagen.

Wenn wir uns übrigens etwas genauer ansehen, was es mit dieser Verbindung Meta und Trump bzw. Republikaner auf sich hat, ergibt sich ein interessanter Zusammenhang zwischen der Kritik an Faktenchecks und dem republikanischen Millieu zuordenbaren Personen. Sie waren öfter von Korrekturen und von Faktenchecks betroffen, was als Kritik, wenn nicht gar als Zensur wahrgenommen wurde, wie ich in Ingrid Brodnigs Newsletter mit Verweis auf einen Artikel in Nature gelesen habe.

Wenn etwas als falsch eingestuft wurde, dann blendete es der Algorithmus nicht mehr so vielen Menschen ein. Das ist positiv, u.a. weil die Gefahr besteht, dass gerade Falschmeldungen Menschen aufregen und zum Teilen/Kommentieren bringen – und Falschmeldungen dann umso mehr von Algorithmus mit Reichweite belohnt werden. Doch von republikanischer Seite und von Donald Trump gibt es schon lange heftige Vorwürfe gegen Plattformen, die gegen Desinformation vorgehen: Sie behaupten, es würde einseitig gegen ihre Weltsicht vorgegangen. Eine Studie untersuchte das und kam zum Ergebnis (für die USA), dass im Pro-Trump-Lager mehr Posts mit Falschmeldungen verbreitet werden – dass sie also mehr von Maßnahmen gegen Fehlinformation betroffen sind, weil dort mehr Falsches herumgereicht wird. Man kann das im Fachjournal „Nature“ nachlesen.

Ingrid Brodnig (Die Verlinkung zum Nature-Artikel habe ich hinzugefügt.)

Nun, da wir uns drei Kommentare zu den Meta’schen Community Notes gewidmet haben, blicken wir doch auch einmal auf die Ankündigung des neuen Facebook selbst. (Facebook, das nur zur Erinnerung für diejenigen, die es nicht wissen, dieses tote, soziale Netzwerk, in dem Bots einen unterhalten, damit es zumindest den Anschein hat, dass irgendwas los ist. Und Meta ist dessen Mutterkonzern.)

Meta kündigt also diese signifikante Änderung im Umgang mit Falschinformation in einem Artikel mit dem Titel „More Speech and Fewer Mistakes“ mit teils bemerkenswerten Formulierungen an, die den Vorwurf der Zensur hochhalten. Vor allem erfreue ich mich natürlich an der Argumentation solcher Veröffentlichungen; im konkreten Fall daran, wie der einen absoluten Wert bezeichnende Begriff des Faktums über die argumentative Brücke der freien Meinungsäußerung und ihrer Zensur (durch technische Maßnahmen) zu einem relativen Begriff umgedeutet wird – ein Kernelement politischer Rhetorik. In Metas PR-Sprache liest sich das so:

Inhibiting speech, however well-intentioned the reasons for doing so, often reinforces existing institutions and power structures instead of empowering people. […] We’ve developed increasingly complex systems […] partly in response to societal and political pressure to moderate content. This approach has gone too far. As well-intentioned as many of these efforts have been, they […] too often [got] in the way of the free expression we set out to enable. […] We [handed] responsibility over to independent […] experts [to] give people more information about the things they see online, particularly viral hoaxes, so they were able to judge for themselves what they saw and read. […] Experts, like everyone else, have their own biases and perspectives. […] Over time we ended up with too much content being fact checked that people would understand to be legitimate political speech and debate. Our system then attached real consequences in the form of intrusive labels and reduced distribution. A program intended to inform too often became a tool to censor.

Meta

Community Notes, also. Na meinetwegen. Mittlerweile habe ich den Glauben an die Verbesserung der Gesellschaft durch soziale Medien ohnehin verloren1, deshalb ist es mir mittlerweile auch egal, ob dort Falschinformationen einem Faktencheck unterzogen werden oder ob es nur Anmerkungen zum Thema gibt, die anders dargestellt werden als der mögliche Widerspruch, der sich im zugehörigen Thread oder Kommentarverlauf bestenfalls ohnehin ergibt.

Relevantes Wissen wird, daran müssen wir uns wohl gewöhnen, ähnlich wie gesunde Nahrungsmittel, zum Luxusgut werden, das den wenigen vorbehalten sein wird, die sich die Grundlagen für den Erwerb relevanten Wissens leisten werden können. Alle anderen werden mit intellektuellem Fast-Food am Leben gehalten, bei dem der faktische Anteil einer Information dann gerade einmal in der Dichte vorhanden sein wird, die notwendig ist, um eine Information grob klassifizieren und sie somit in den Bereich des nicht ganz Absurden heben zu können, gleichzeitig allerdings genügend verdünnt, verkürzt, vereinfacht oder um Details beraubt, um diese Information – und hierin liegt der Stein des Anstoßes – nicht in den Kontext des eigenen, gesellschaftlichen Lebens einordnen zu können. (Nicht, dass ich hier soziale Medien als Quellen relevanter Information hochstufen möchte, aber sie haben doch ihre Daseinsberechtigung; Tweets oder Postings können als Impetus für die weitere Recherche zu Inhalten, mit denen man dort konfrontiert wird, dienen, die einem außerhalb eines algorithmisch aufbereiteten Nachrichtenstreams vielleicht nicht unterkommen würden.)

Wir kennen das alle ja jetzt schon: Vieles von dem, was wir lesen, hören oder sehen, wirkt wahrhaftig und echt, aber in einer Diskussion wird schnell klar, dass wir uns nur auf Argumente stützen, von denen oder die wir auch irgendwo gelesen oder gehört haben. Eigene Meinungen haben wir zu solcherlei Informationen nicht. Ja, wir können gar keine eigene Meinung dazu haben, da wir nicht über die notwendigen Eckdaten (die fehlenden Details einer Information) verfügen, um den Prozess der Meinungsbildung – also die Verarbeitung einer Information, ihre Eingliederung in den Kontext des eigenen (gesellschaftlichen) Lebens und ihre hieraus entstehende Bewertung – überhaupt in Gang setzen zu können. Dennoch fühlen wir uns gut und sind stolz, das auf X, Instagram, Facebook, Threads, Telegram oder sonst wo erworbene „Wissen“ unter dem Banner des nunmehr freien Zugangs zur freien Meinungsäußerung in einer freien Gesellschaft2 erworben zu haben.

Das Gefühl ist herrlich. Die Satisfaktion, endlich gegen „die Linken“, „die Rechten“, „die Akademiker“, „die indoktrinieren Wissenschaftler“, „die Journalisten“, „die Ausländer“, „die alten, weißen Männer“, „die Juden“, „die Moslems“, „die Kapitalisten“, „die Kommunisten“ oder wen auch immer sonst unsere Erlöser3 als das momentan zu bekämpfende Gegenüber (fast hätte ich „Volksfeinde“ geschrieben) identifizieren, Überlegenheit zeigen zu können, beglückt, sich nicht mehr in der misslichen Lage zu befinden, den Anderen die Verbreitung von Nachrichten zu überlassen, partizipieren wir nach so langer Zeit der Unterdrückung endlich aktiv an der gesellschaftlichen Entwicklung, in dem wir ein Thumbs-Up-Emoji auf X, Facebook oder Threads posten oder Fotos und Videos auf Instagram oder TikTok mit einem Like belohnen. Das ist wahre Freiheit, das ist freie Meinungsäußerung! 👍

Die ganze Sache hat halt einen ganz entscheidenden Haken. Wenn nämlich Faktenchecker Anmerkungen zu einem Beitrag auf einer der Plattformen veröffentlichen, dann kann jeder und jede den Zugang der Expertinnen und Experten überprüfen. Man mag für oder gegen diesen oder jenen Experten, für oder gegen die Argumente dieser oder jener Expertin sein, aber ganz klar ist, wer die Person ist und welche Interessen sie vertritt, wenn sie einen Faktencheck durchführt und Anmerkungen macht. Ich kann den Faktencheck also kritisieren und meine Kritik zuvor auf die Positionierung des Faktencheckers hin abklopfen. Das wird bei Community Notes nicht so ganz möglich sein. In Zukunft werden wir nicht wissen, dass Frau Dr. A, Faktencheckerin des liberalen oder konservativen Instituts für B, die als Expertin für C gilt, aus der Schule des D kommt und dabei die Position E vertritt, die Anmerkung F zu einem von JinxTheRich87 getätigten Post verfasst hat. Stattdessen werden uns aggregierte Kommentare von WolfHowler2, MoonIsAHoax und MilfHunter666 über die Zuverlässigkeit der im Beitrag veröffentlichten Informationen Auskunft geben. Ihre Aussagen, nein, die Menge an Kommentaren wird dann ähnlich der Schwarmintelligenz entscheiden, ob eine Information richtig oder falsch ist, gleichsam einer Abstimmung, ob 4 eben die Summe aus 2 plus 2 ist oder nicht.

Community Notes sind also freie Meinungsäußerung, auch wenn wir vielleicht gar nicht genau wissen, wer diese „Notes“ verfasst hat. Aber vielleicht müssen wir das ja auch gar nicht, vielleicht ist es tatsächlich egal, wer die drei hier beispielhaft genannten Userinnen oder User sind, da wir uns ja zu ihrer Meinung selbst wiederum eine eigene Meinung bilden und die Sachlage selbst beurteilen können. Wer braucht schon Vorgaben darüber, was wahr ist und was falsch?! Ja, ich denke, so wird es sein: Die vielen, neuen Freiheiten werden uns ein besseres Leben ermöglichen, ein Leben, das bislang von unerträglichen Restriktionen durch kontinuierliche Missinformation und Propaganda unterdrückt wurde. Tatsächlich ist es wohl in dieser schönen, neuen Welt, in den guten fünf Jahren, die eine Gesellschaft wieder großartig machen werden, wohl so, dass Unwissenheit tatsächlich Stärke sein kann. Und das ist die wahre Freiheit. Bitte sich das zu notieren.

  1. Fraglich, ob diese Hoffnung je so existiert hat. Das Gefühl, sie haben zu müssen lässt allerdings auf meine wahrscheinlich äußerst naive Wunschvorstellung rückschließen, dass ich Technologie und Innovation tendenziell grundsätzlich als dem Menschen und seiner Gesellschaft zum Positiven dienend ansehe. ↩︎
  2. Alle hier genannten „Freiheiten“ sind als Abwesenheit einer propagierten Unfreiheit zu verstehen. Propagiert deshalb, weil uns erst durch die Stimme eines Erlösers die Augen aufgegangen sind und wir auf die Unfreiheit aufmerksam gemacht wurden, die uns und niemandem sonst zuvor je aufgefallen war. Sapperlot, aber auch! ↩︎
  3. Unsere Erlöser (von der „Knechtschaft“ eines „Diktats“ der „Eliten“) sind, nur zur Erinnerung und zukünftigen Memorierung, bitteschön, diejenigen, die uns, ganz selbstlos und dem Wohle der Menschheit dienend, die Plattformen zur freien Meinungsäußerung zur Verfügung stellen. ↩︎

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