COVID-19, Tag 15: „Phase der neuen Normalität“

Freitag, 27. März 2020, Tag 15 der Maßnahmen gegen die Verbreitung des Coronavirus. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die aktuell durch das Virus begründeten, „notwendigen Maßnahmen“ zu – ja, nennen wir sie so – „Features“ werden, die man, ist die technische Infrastruktur einmal aufgebaut, ja auch weiterhin gut nutzen kann. Der Fahrplan in die Echtzeitüberwachung – die „Phase der neuen Normalität“ – ist einfach und potent:

  1. Wir planen Maßnahmen, die vielleicht unangenehm sind, aber sie retten Leben. Und wer spricht sich gegen das Retten von Leben aus?
  2. Um diese Maßnahmen zu implementieren müssen technische Gegebenheiten geschaffen werden. Natürlich nur für die Zeit der Krise und nur für einen bestimmten Zweck. Bestenfalls, denn so löst man am wenigsten Verdacht aus, werden sie schrittweise umgesetzt.
  3. Die Krise ist nun vorbei, aber wenn wir die technischen Gegebenheiten ohnehin schon haben, warum dann nicht auch für X oder Y nutzen?

Blicken wir auf aktuelle Entwicklungen: Kurz gibt in einem Interview zu, die Coronakrise unterschätzt zu haben und rechtfertigt damit schon vorab ein wahrscheinlich unangenehmes Maßnahmenpaket für die Zeit danach; die Medienmaschinerie hat die Phrase „Phase der neuen Normalität“ ohnehin schon übernommen. Man will ja nur das Beste für die Bevölkerung und in Asien hat man vorgezeigt, wie’s gemacht gehört:

Sie waren erfolgreich durch Tragen von Masken, Disziplin, Schnelltests in breiter Masse und natürlich auch durch die Nutzung von Big Data. Das ist auch eine Frage, mit der wir uns in Österreich gerade beschäftigen.

Sebastian Kurz, 2020

Big Data? Alarmglocken schrillen. Doch will sich wirklich jemand in die Schusslinie stellen und einer Maßnahme, die der Bevölkerung nützt, immerhin werden Menschenleben gerettet, widersprechen? Die Phase 1 des Fahrplans wurde soeben abgeschlossen.

Natürlich ist die Implementierung der Maßnahmen eine technische Herausforderung und je konkreter die Umsetzung wird, desto mehr Widerstand könnte sich regen. Es sei denn, die Umsetzung erfolgt in kleinen Häppchen, denn so fällt es niemandem auf und solange jeder kleine Schritt gut begründet ist und Kritik sofort medial abgefangen oder vorweggenommen wird, ist alles gut. Wenn Unternehmen die Daten „freiwillig“ übermitteln, umso mehr. Oh, es ist ja nicht mehr nur eine Firma, plötzlich sind es alle drei großen Mobilfunkanbieter!

Die drei großen Mobilfunkunternehmen Österreichs verweisen auf den großen Nutzen anonymisierter Bewegungsdaten von Handynutzern in der aktuellen Coronakrise. Unter Wahrung des Datenschutzes und ohne Weitergabe individualisierter Daten könne die Technologie im Bemühen um die Eindämmung des Virus Covid-19 große Hilfe sein, sagten die Firmenchefs von A1, Magenta und Drei am Donnerstag.

Tiroler Tageszeitung vom 26.3.2020

Noch sind diese Bewegungsdaten sicherlich kompliziert auszuwerten und mit jeder Verlängerung der Ausgangsbeschränkungen rückt eine technische Direktverbindung, die Daten in Echtzeit auswerten kann, in greifbarere Nähe. Wieso nicht auch gleich speichern für ein paar Monate. Rückwirkend festzustellen, wer wen wo möglicherweise infiziert hat, hilft sicherlich allen. Hoppla, wir haben ja gerade die Phase 2 des Fahrplans erfüllt. Denn sind diese Schnittstellen einmal aufgebaut und in Betrieb, gibt es kein Zurück mehr.

Den Schritt 3 des Fahrplans kennen wir nicht, denn wir befinden uns mitten in der Krise. Doch lassen wir jemanden, der an solchen Systemen gearbeitet hat, etwas dazu sagen. Seine Version ist noch viel dystopischer als die reine Echtzeitüberwachung mittels Bewegungsdaten, aber der Mann muss es ja wissen. Seine große Sorge: Nicht die aktuelle Regierung bedient sich der Maschinerie; sie ist in der einen oder anderen Form an ihr Versprechen, sie nur eingeschränkt zu nutzen, gebunden. Doch was ist mit der nächsten?

What happens, when you have built […] the architecture of oppression? […] You have built a system of turnkey tyranny that is available to the next leader, that can – in secret – at any time be twisted, and you have no civil power remaining to resist it, because you cannot coordinate, you cannot gather in public, because the government instantly knows […] and the police are already there […] – all of these things can happen programmatically, algorithmically, and we are moving closer and closer to that world everyday that we let panic motivate our decisions rather than rational reflection regarding inevitable consequences […]

Edward Snowden, CPH:DOX online

Es ist Freitag, der 27. März 2020 und wir befinden uns bei Tag 15 der Maßnahmen gegen die Verbreitung des Coronavirus. Nach nur zwei Wochen ist es schon so weit. Ich hoffe mit großem Optimismus, dass nichts von alledem, was ich oben geschildert habe, auf diese Art und Weise eintritt und interpretiert wird. Aber ich bin mir nicht sicher.