Dann doch lieber das Auto…

14:33 Uhr
Fahrplanmäßige Abfahrt des Zuges „Polonia“ von Wien nach Warschau.

14:35 Uhr
Der Zug wird „um 50 Minuten verspätet“ angekündigt.

15:10 Uhr
Der Zug ist „um 70 Minuten verspätet“.

15:13 Uhr
Durchsage am Bahnsteig 4, die ich nicht verstehen konnte.

15:15 Uhr
Abermals Durchsage am Bahnsteig 4, die ich abermals nicht verstehen konnte.

15:20 Uhr
Große Unruhe unter den Fahrgästen auf Bahnsteig 4. Es verbreitet sich das Gerücht, dass die Fahrgäste in den Zug auf Bahnsteig 5 steigen sollen, der Prag zum Ziel hat. (Planmäßige Abfahrt: 15:33 Uhr.)

Ich erkundige mich bei einem Schaffner, wohin die Fahrgäste mit dem Ziel Warschau nun gehen sollen, die Antwort: „Wir haben es zwei Mal durchgesagt: diese Fahrgäste sollen in den Zug nach Prag einsteigen. Dieser Zug bleibt in Breslau stehen, wo sie wieder aussteigen müssen. Von dort wird sie der eigentliche Zug abholen und weiterfahren.“

15:33 Uhr
Die Fahrgäste steigen in den Zug auf Bahnsteig 5 ein. Der Zug fährt ab.

16:45 Uhr
Ich erhalte einen Anruf von einem der Fahrgäste: Der Zug steht und kann nicht weiterfahren.

Ich rufe bei der Auskunft der ÖBB an (05-1717), um mich zu erkundigen, was da los ist. Zu diesem Zeitpunkt erhalte ich als erste Information, dass der Zug „Polonia“ von Wien nach Warschau um 125 Minuten verspätet ist. Nach genauerem Nachfragen erhalte ich die Auskunft, dass eine Oberleitung beschädigt ist und gerade Reparaturarbeiten im Gange sind. Die Züge müssen die Arbeiten abwarten.

Wenige Minuten später erhalte ich abermals einen Anruf von einem der Fahrgäste: Der Zug fährt wieder.

21:39 Uhr
Ich erfahre von selbigem Fahrgast, dass alle Fahrgäste mit dem Reiseziel Warschau aus dem Zug nach Prag aussteigen mussten und bislang in Breslau auf den Anschlusszug warten!

Zur Verdeutlichung

  • Der Fahrgast, um den es konkret ging, hatte als Ziel nicht Warschau, sondern das viel näher gelegene Krakau. Der Zug, der um 14:33 Uhr von Wien Südbahnhof abfahren sollte, wäre um 21:30 Uhr in Krakau angekommen.
  • Die Verbindung Wien-Warschau wird in der telefonischen Auskunft der ÖBB (Tel.: 05-1717, dann „2“ und nochmals „2“) als „internationaler Fernverkehr“ geführt. Die Durchsage am Bahnhof Wien Süd erfolgte zwei Mal ausschließlich auf Deutsch. (Und das sogar für mich unverständlich!)
  • Bahnfahren entspannt? Wäre dieser Fahrgast mit dem Auto bequem von Wien nach Krakau gefahren, wäre er um ca. 21:00 Uhr in Krakau angekommen!
  • Der Treibstoff für 450 Kilometer kostet im Durchschnittsverbrauch eines modernen Fahrzeugs etwa 35 Euro. Das Bahnticket Wien-Krakau kostet regulär 42 Euro (Sparschiene 29 Euro), hinzu kommen aber noch die Kosten für öffentliche Verkehrsmittel zum und vom Bahnhof beziehungsweise die Kosten fürs Taxi. Führe man mit dem Auto, wäre die Anreisezeit individuell wählbar, ebenso wie die Mitfahrer.
  • Da sehr viele polnische Arbeiter übers Wochenende nach Polen fahren, hat sich ein privater Lieferservice mit Minibussen zwischen Wien und den wichtigsten westpolnischen Städten etabliert. Das funktioniert ähnlich wie ein Taxi: Man wird in Wien von zuhause abgeholt und in zB Krakau zuhause wieder abgesetzt. Die Kosten für eine Überführung liegen bei etwa 50 Euro.
  • Züge in Österreich fahren mit modernen, stromsparenden Waggons. Züge in den östlichen Nachbarländern tun das nicht. Nicht selten habe ich mitangesehen, wie Öl, die Inhalte der Sanitäreinrichtungen oder die Abfälle des Speisewaggons einfach in den Boden abgelassen wurden. Ich denke, dass der Schmutz (und sein Wirkungsgrad), den ein PKW verursacht in Bezug dazu wesentlich geringer ausfällt.

Nachtrag, 2. Oktober 2008

Der Fahrgast musste in der Tschechischen Republik insgesamt fünf Mal umsteigen. Er sollte am 1. Oktober 2008 um ca. 21:30 Uhr in Krakau angekommen sein; tatsächlich kam er am 2. Oktober 2008 um 10:14 Uhr in Krakau an!