Es kümmert ja eh niemanden

Der Qualitätsanspruch an (Medien-) Produkte ist offenbar so dermaßen im Keller, dass es ohnehin schon niemanden mehr kümmert, KI-generierten Slop zu veröffentlichen.

Dan Sinker über die „Who Cares Era„, die sich dadurch auszeichnet, dass es wohl tatsächlich nur noch die wenigsten kümmert, was wie und in welcher Qualität (zumindest online) produziert wird. Selbst der augenscheinlichen Halluzination einer Künstlichen Intelligenz gelingt es, sich durch einen mehrstufigen Reviewprozess zu schummeln und in der Beilage zu zwei Tageszeitungen (!) veröffentlicht zu werden.

It was discovered that the Chicago Sun-Times and the Philadelphia Inquirer had both published an externally-produced „special supplement“ that contained facts, experts, and book titles entirely made up by an AI chatbot. […] The thing that is most disheartening to me is how at every step along the way, nobody cared. The writer didn’t care. The supplement’s editors didn’t care. The biz people on both sides of the sale of the supplement didn’t care. The production people didn’t care. And, the fact that it took two days for anyone to discover this epic fuckup in print means that, ultimately, the reader didn’t care either. […] AI is, of course, at the center of this moment. […] If you don’t care, it’s miraculous. If you do, the illusion falls apart pretty quickly. […] Good enough is, in fact, good enough for most people. Because most people don’t care.

Dan Sinker

Und wer sich die Situation nachträglich rechtfertigen und an die üblichen Bla-Argumente wie Zeitdruck und Budgetmangel denken will, den darf ich auf einen völlig anderen Beitrag bei 404 Media verweisen, der einen nicht minderen Zugang unter dem Motto „es kümmert ja eh niemanden“ gerade von denen, die am meisten über die Nutzung ihrer Werke durch Künstliche Intelligenz klagen, ans Tageslicht bringt.

Fans reading through the romance novel Darkhollow Academy: Year 2 got a nasty surprise last week in chapter 3. In the middle of steamy scene between the book’s heroine and the dragon prince Ash there’s this: „I’ve rewritten the passage to align more with J. Bree’s style, which features more tension, gritty undertones, and raw emotional subtext beneath the supernatural elements:“ […] Lena McDonald, had used an AI to help write the book […] In January, author K.C. Crowne […] had a weird paragraph in the middle of the book. “Here’s an enhanced version of your passage, making Elena more relatable and injecting additional humor while providing a brief, sexy, description of Grigori. Changes are highlighted in bold for clarity,” it said. Rania Faris published her pirate themed romance novel Rogue Souls in February. Once again, there was evidence of AI-generation in the text. “This is already quite strong,” a paragraph in the middle of a scene said. “But it can be tightened for a sharper and more striking delivery while maintaining the intensity and sardonic edge you’re aiming for. Here’s a refined version:”

404 Media

Ja, und über Studierende, die ihre (Abschluss-) Arbeiten, über Job-Kandidaten, die ihre Bewerbungen, oder über Wissenschaftler, die ihre Publikationen mittels Künstlicher Intelligenz verfassen, habe ich bereits geschrieben. Ihnen allen ist die Sache selbst nicht mehr wichtig, sie nehmen hin, was die KI für sie verfasst. Sie geben die mühsame Arbeit – das Denken und Verfassen von Texten – an die Maschine ab. Und weil wir in einer Kultur gefangen sind, die ihren Fokus nicht auf die der Sache innewohnende Qualität eines Werkstückes legt, sondern auf die Wahrscheinlichkeit, dass es gekauft wird, kommt dann der Müll („Slop“ ist wirklich ein guter Begriff dafür) dabei heraus, mit dem wir ja jetzt schon konfrontiert sind, wenn Künstliche Intelligenz breit eingesetzt wird.

Es kommt aber noch ein Aspekt dazu, der vielleicht nur für mich gilt, jedenfalls aber ein sehr persönlicher Zugang zur Sache ist: Wenn ich ein Konzert besuche, dann will ich, dass live gespielt wird; Playback nehme ich gewissermaßen als Betrug war. Wenn ich mir eine Serie ansehe, dann will ich mit Unerwartetem konfrontiert werden und nicht den Durchschnittswert der Publikumsreaktionen als Handlung der Serie vorgesetzt bekommen. Wenn ich ein Buch lese, dann will ich, dass das Verfassen des Buches der letzte Abschnitt eines kreativen Schaffensprozesses eines Menschen war; mit ChatGPT generierte Passagen nehme ich als Betrug an der Sache „Buch“ wahr. Wenn ich an einem Seminar teilnehme, dann erwarte ich mir eine tiefe Kenntnis der Materie vonseiten der vortragenden Person; vorgegaukeltes Wissen oder schlichtweg Faulheit, getarnt durch geschicktes Prompten nehme ich als Betrug wahr. Wenn ich mit meinen Eltern in Verbindung bleiben will, dann erwarte ich mir eine ehrliche und direkte Verbindung mittels Telefon, Messenger und dergleichen; ein KI-Statusboard über den emotionalen Zustand meiner Eltern nehme ich als Betrug wahr.

Und wenn ich all die Beispiele nenne, dann ist das nicht nur ein Jammern, das keinerlei Auswirkungen außerhalb meines Blogs zeigt, sondern eine – ja, man kann es sicher so nennen – tiefe Kränkung, die mich reale Konsequenzen ziehen lässt: Ich besuche fast keine Konzerte mehr. Ich bezahle kein Abonnement bei irgendeinem Streaming-Anbieter, wenn ich nicht neugierig auf eine neue Serie oder einen Film bin. Jedenfalls haben die Abonnements bei mir, sollte ich sie doch bestellen, immer eine sehr kurze Haltedauer. Ich kaufe gerne Bücher; mehr und mehr sind es aber Bücher, die vor längerer Zeit schon erschienen sind. Bei moderner Literatur habe ich apriotische Zweifel an der Authentizität, warte daher mit dem Kauf, bis ich ihn vergesse. Und ich besuche meine Eltern, verzichte aber mehr und mehr auf mediierte Kontaktaufnahme.

In anderen Worten: Ich entziehe denjenigen, die es ohnehin nicht mehr kümmert, den Zugriff auf zumindest meine finanziellen Ressourcen. Ich nehme die Werke, Arbeiten und dergleichen, sofern mittels KI generiert, als Betrug war. Denn ein Buch ist nicht nur eine Sammlung gedruckter Wörter auf eingebundenem Papier; ein Konzert nicht nur die Abfolge aneinandergereihter Noten; ein Seminar nicht nur der Vortrag statistisch wahrscheinlicher „Gedanken“ und ein Telefonat mit den Eltern nicht das Abchecken, ob sie noch leben. All diese Leistungen, Werke und Tätigkeiten sind der Abschluss eines inneren Vorganges. Und es ist das Durchmachen dieses Vorganges, wofür es sich aus meiner Sicht lohnt, Geld auszugeben oder Zeit aufzuwenden. Für KI-generierten Slop lohnt es sich in meinen Augen nicht. Aber ja, vielleicht bin ich da zu pingelig. Denn: Es passt doch eh irgendwie.

Ich will nicht in dem Topf landen, in dem sich all jene befinden, die es eh nicht mehr kümmert. Weder auf Anbieter-, noch auf Konsumentenseite. Denn es passt eben nicht, schon gar nicht irgendwie. Auch wenn es, offenbar, eh niemanden mehr kümmert.

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