Musik im Internetcafé

China, Shaoxing, ein Internetcafé: Ich sitze am Primatenrechner, an dem sonst nur der Boss (ein schmieriger, fetter Typ) seinen Luxuskörper ablegt. Man erkennt das an den Ascheresten, am Spezialstuhl, an der einzigen Maus mit Mausrad, etc… Um mich herum sitzen junge und alte Chinesen, die entweder irgendwelche Viel-Blut-Spiele spielen oder sich Filme übers Internet anschauen (was hier in China übrigens legal ist!). Sie sitzen da, benutzen die Computer, reden miteinander, trinken Tee, rauchen, …

Einer, der hier kommentiert, hat was gepostet, dass einen Link zu einer Musikdatei enthält. Ich quatsche die zuständige Xiaojie an, ob denn die Möglichkeit bestünde, sich das Lied anzuhören sobald es fertig heruntergeladen ist; ob sie vielleicht Kopfhörer habe? Sie scheint zwar zu verstehen, worum es mir geht, jedoch verstehe ich ihre Antwort nicht. Aber offenbar dürfte das Anhören des Lieds kein Problem sein.

Nachdem sie mir zugelächelt hat und ich den letzten zwanzig Prozent der Datei beim Herunterladen zugeschaut habe, öffnet sich auf meinem Bildschirm der RealPlayer und die Anzeige flackert als ob die Musik bereits zu hören wäre. Ich sehe die Xiaojie fragend an, sie gibt eine erkennende Bewegung von sich, winkt meine Bedenken ab und bückt sich unter ihren Schreibtisch, um dort einen Schalter zu betätigen. Die Hintergrundmusik des Cafés wird ausgeblendet, ein kruzer Knacks in den Lautsprechern und plötzlich höre ich über die großen Lautsprecher des Cafés das Lied.

Ich versinke in meinem Stuhl. Tunnelblick. Ein paar Chinesen sehen mich an – offenbar wissend, dass die Musik nur vom Primatenrechner kommen kann. Ich werde knallrot. Mehr Chinesen sehen mich an. Sie heben ihre Körper so, dass sie mich über den oberen Bildschirmrand hinweg erkennen können. Ich versinke noch mehr im Sessel. Ich blicke die Xiaojie an und deute ihr, sie möge doch bitte wieder abdrehen, doch sie klopft mit dem Finger im Takt des Liedes auf die Tischplatte, blickt in die andere Richtung und scheint sichtlich zufrieden zu sein. Mittlerweile wird der Refrain wiederholt und einige Chinesen summen bereits mit. Ich versinke vor Schande endgültig in meinem Stuhl. Abdrehen geht nicht, denn offenbar hat die Melodie einen Schnappi-Effekt. Ich blicke mich um, ob nicht vielleicht irgendein Tourist sich hierher verirrt hat. Glück gehabt! Die Xiaojie klopft mit dem Finger auf der Tischplatte…