Der Standard triggert mich. Vor einiger Zeit erschien dort ein Artikel zum Thema unangekündigte Anrufe, mit denen ich ja noch irgendwie leben kann. Doch gestern veröffentlichte man dort ein Pro & Kontra zu meinem persönlichen Todfeind, der Sprachnachricht.
Voreingenommen in der persönlichen Empfindung, aber offen gegenüber den (Pro-) Argumenten, las ich das und war tatsächlich erstaunt, dass es mir nicht und nicht gelang, egal, wie sehr ich mich auch bemühte, den Pro-Argumenten etwas abzugewinnen. Vielleicht liegt es daran, dass das alles Rechtfertigungsargumente sind? Menschen kommunizieren unklar (das ist halt so), ungenau (das ist halt so) und vielleicht kann man sich das ja schön reden, in dem man darin Verbundenheit sehen will. Ich kann das nicht. Und dieses implizite „das ist halt so“ akzeptiere ich auch nicht, denn niemand hat das Recht, mir meine Zeit zu stehlen, in dem ich mir das Gelabere anhören muss. Womit wir auch schon mitten in den Kontra-Argumenten sind.
Sie gehen mit Sprachnachrichten hart ins Gericht und listen auf, was auch ich den zum Glück sehr wenigen, die mich damit nerven, auch immer wieder mitzuteilen versuche.
[Die] ungewollte Hörspielstunde vulgo Sprachnachricht über Messengerdienste [ist] ein wilder Ritt durch ein wirres Gedankenlabyrinth, das gefühlt auch mit viel Hintergrundlärm und anderen akustischen Hürden gebaut worden ist [und] ein unstrukturierter Strom an Gedanken, der mal hierhin, mal dorthin mäandert – ohne je den Punkt zu erreichen. […] Der Kern der Botschaft bleibt immer noch verborgen.
derstandard.at
Und das nervt. Vielleicht gibt es ja die eine oder andere Person, der es gelingt, eine Sprachnachricht so präzise zu formulieren, dass sofort klar ist, worum es geht; die wäre dann aber wohl so kurz, dass es sich wiederum nicht lohnen würde, sie aufzusprechen. Jedes Mal stelle ich mir die Frage, die Benjamin Brandtner sich auch im Standard stellt: „Hätten ein paar prägnante Sätze in einer Textmitteilung oder einer längeren E-Mail nicht denselben Zweck erfüllt – in einem Bruchteil der Zeit?“ – Und genau hier, in der Zeit, derer sich diejenigen, die Sprachnachrichten versenden, bemächtigen, liegt die Krux. Denn die Empfänger sind diejenigen, die sich das unstrukturierte Gelaber (1) anhören, (2) die wesentlichen Teile extrahieren, (3) und daraus eine Nachricht machen müssen. Wie kommen wir Empfänger dazu, das zu tun?
Während die Zeit beim Abhören verstreicht, ist die aufkeimende Mischung aus Ratlosigkeit und Wut nur schwer zu unterdrücken. Anders als bei einem Text, den man überfliegen kann, oder einem direkten Gespräch, in dem man nachfragen könnte, ist man einzig und allein auf die Gnade des Abspielbuttons angewiesen. Und die Sprachnachricht zieht sich weiter wie ein Kaugummi, ein unstrukturierter Strom an Gedanken, der mal hierhin, mal dorthin mäandert – ohne je den Punkt zu erreichen. […] Was dem Sender als schnelle und bequeme Lösung erscheint, verwandelt sich für den Empfänger in eine zeitraubende Tortur. Jedes „Ähm“, jedes „Apropos“, jedes unerwartete Ereignis aufseiten des Sprechers wird zu einer Unterbrechung, die einen nur aus dem eigenen Lebensrhythmus reißt, um ein unnnötiges Puzzle zusammensetzen zu müssen.
derstandard.at
Besonders ratlos und wütend machen mich relevante Nachrichten, die ich nicht in Textform, sondern als Sprachnachricht bekomme. Im Standard-Artikel ist das diesem Umstand am nähesten kommende Beispiel die Sache mit dem Zeitpunkt des Treffens am Bahnhof. Eine Uhrzeit kann man nun wirklich in Textform übermitteln und muss dafür keine Sprachnachricht aufsprechen. Ich habe bereits Sprachnachrichten erhalten, in denen Screenshots beschrieben (!), Passwörter durchgesagt – ja gesagt! – (!!) oder Abläufe inklusive unnötiger Zusatzgedanken erzählt (!!!) wurden. „Ratlosigkeit und Wut“, heißt es im Kontra-Argument. Und ja, genauso ist es.
Aber es gibt eine Steigerungsform: Personen, nämlich, die den Sarkasmus nicht erkennen, wenn man ihnen dann ebenso per Sprachnachricht antwortet, oder, was ich ganz besonders gerne bei denjenigen mache, die zusätzlich zur Sprachnachricht auch noch unter dem Syndrom leiden, gleich mehrere, kurze Nachrichten hintereinander zu senden, sodass sich der eigentliche Inhalt erst ergibt, wenn man alle drei oder vier Sprachnachrichten abgehört hat: Ich antworte ihnen auf die einzelnen Sprachnachrichten innerhalb des Threads, sodass ihr Messenger-Screen dann voller Sprachnachricht-Antworten auf Sprachnachricht-Anfragen ist. Guess what? Einige regen sich dann – per Sprachnachricht! – darüber auf, dass sie ihre eigenen Sprachnachrichten nocheinmal anhören müssen (!), weil sie andernfalls ja den Kontext meiner Nachricht nicht verstehen können. Und das „koste sie zu viel Zeit“ oder „sei mühsam“, weil die Nachrichten teilweise „sehr lang seien“. Ob ich – Trommelwirbel! – es nicht einfach aufschreiben könne?!
Meine Meinung zu Sprachnachrichten ist sehr klar kontra, daher habe ich die knapp 300 Kommentare, die es zum gegenwärtigen Zeitpunkt zum Standard-Artikel gibt, überflogen. Und ich bin froh festzustellen, mit meiner Einstellung dazu nicht alleine zu sein. Die überwiegende Mehrheit ist eindeutig dagegen. Und der Seitenhieb muss jetzt sein: Beispielhaft ist ja, was ich gerade gemacht habe: Ich habe die Kommentare überflogen. Wären die Kommentare Sprachnachrichten, wäre es unmöglich, sie zu überfliegen, bestenfalls in doppelter Geschwindigeit abspielen. Doch auch das hätte mich zu viel Zeit gekostet und wäre mühsam gewesen. Vielleicht ist aufschreiben ja doch eine gute Lösung.