Rechts zur Kompensation von Schuld

Robert Willacker erklärt, wozu es Rechte und rechte Parteien überhaupt braucht und stellt dabei fest, dass sie eine essentielle, wenn nicht gar existentielle Grundvoraussetzung für die Linke und ihre Parteien ist. Gut provokant und Perspektiven eröffnend.

Der Politikberater Robert Willacker hat in einer Rede bei den Wiener Festwochen 2024 im Rahmen der Veranstaltung „Zweiter Wiener Prozess: Anschläge auf die Demokratie“ die vom Veranstalter gestellte Frage, ob man Parteien wie die AFD oder die FPÖ, ja, ob man Rechte überhaupt braucht, auf eine interessante Art und Weise beantwortet. Er bot dem Publikum an, einen Perspektivenwechsel vorzunehmen, und „sich für einen kurzen Moment selbst durch [seine] Augen zu betrachten“. Seine Augen sind dabei die eines Politikberaters, der sich nach eigenen Angaben „eher im rechten Parteienspektrum bewegt“.

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Robert Willacker auf die Frage: Braucht man Parteien wie die AFD oder die FPÖ, braucht man Rechte?

Hier eine zusammengefasste Transkription des Hauptarguments, vor allem des entscheidenden Punkts, der die Rechte (samt AFD und FPÖ) als für die Linke notwendiges Rechtfertigungs-, zur Konstruktion des Gegenpols unabdingbares und zur Kompensation des eigenen, problematischen Verhaltens nutzbares Element positioniert.

„Braucht man Parteien wie die AFD oder die FPÖ, braucht man Rechte?“, lautete die Leitfrage, die mir seitens des Veranstalters mitgegeben wurde. […] Die Antwort mag sie ob ihrer Profanität enttäuschen: Sie brauchen diese Parteien, um ihre Schuld kompensieren zu können. Nachdem wir hier in der Geburtsstadt der Psychoanalyse sind und fast jeder hier im Raum, mich eingeschlossen, irgendetwas Nutzloses studiert hat, noch mal etwas weniger profan: Sie brauchen diese Parteien, denn ihr Ich ist nicht in der Lage den Konflikt zwischen ihrem Es und ihrem Über-Ich zu kalmieren und konstruktiv zu kanalisieren. Sie sind zu weiß, sie sind zu reich, sie sind zu heterosexuell. Sie fahren zu viel Auto, sie essen zu viel Fleisch und sie heizen falsch. Und dann hatten sie da auch noch diesen Großvater, über den in ihrer Familie seit jeher deutlich mehr geschwiegen als gesprochen wird. Und genau hier am Gipfel ihres schlechten Gewissens, hier kommen die Rechten ins Spiel. Nicht nur, dass diese schlimmer sind als sie – die fahren noch mehr Auto, essen noch mehr Fleisch und sind noch heterosexueller -, die besitzen auch noch die Unverfrorenheit, sich nicht einmal ansatzweise für ihr Tun und ihr Sein zu schämen und damit haben sie, meine Damen und Herren, endlich das ausgelagerte Feindbild, das sie brauchen, um sich nicht länger dem Konflikt mit ihrem eigenen Selbst stellen zu müssen. […] Die eigenen Kinder nicht mit faktisch unbeschulbaren Migranten aus prekären Verhältnissen in dieselbe Klasse schicken zu wollen, macht sie nicht zu einem schlechten Menschen, weil es ja dort noch diejenigen gibt, die Migranten samt und sonders abschieben wollen. Und besser als die sind sie alle Mal. Wären die nicht rechts, wären sie nicht links. Wären die nicht schlecht, wären sie nicht gut.

Rede von Robert Willacker (Wiener Festwochen 2024)

Ich bin zufällig durch einen Tweet von Oliver Das Gupta auf die Rede gestoßen und stimme seiner Charakterisierung, sie sei „eine einzige Provokation […] und doch hörenswert, [da sie] sich von ekelhafter Hetze“ unterscheidet und „eine andere Perspektive [eröffnet]“ zu. Und genau das – andere Perspektiven eröffnen – ist, egal, wie man es drehen oder wenden will, das entscheidende Stichwort für Erkenntnis und Verständnis des Denkens derer, die man unterstützen oder denen man Argumente entgegensetzen will. Insofern lohnt es sich, egal, welchem Spektrum man sich selbst zugehörig fühlt, die Rede anzuhören (oder den hier transkribierten und zusammengefassten Ausschnitt zu lesen) und darüber zu reflektieren. – Das sollte ohnehin immer und ganz grundsätzlich passieren, bevor noch Ausschluss- oder Zugehörigkeitsgefühle entstehen, die den Versuch des Verstehens apriotisch ablehnen. Sie können entstehen, ja, sie sollen vielleicht sogar in manchen Fällen entstehen, aber wenn, dann auch ordentlich begründet sein und nicht auf einer Annahme basieren, die man über die Gegenseite hat.

Die Veranstaltung, auf der die Rede gehalten wird – die Wiener Prozesse – sind übrigens ganz allgemein sehenswert. Im ersten Wiener Prozess1 geht es um die Verwundungen der Corona-Pandemie, also um das Zerwürfnis

von „Maßnahmen-Befürworter:innen“ und „Maßnahmen-Gegner:innen“, der hochemotionalisierten Impfdebatte, aber auch den anscheinend filigraneren Verletzungen, über die heute eher weniger gesprochen wird.

Im zweiten Wiener Prozess2, bei dem Robert Willacker aufgetreten ist, um Anschläge auf die Demokratie. Und im dritten3 um die Heuchelei der Gutmeinenden, in der die Frage gestellt wird, welche Aktionsformen – politische Bewegungen, radikaler Aktivismus, etc. – legitim sind.

Radikale Aktivist:innen der Klimabewegung sehen sich mit Vorerhebungen wegen „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ konfrontiert, überschießend und extrem argumentierende Pro-Palästina-Aktivist:innen müssen nicht nur mit der scharfen Klinge des besseren Argumentes rechnen, sondern können auch Anklagen wegen „Gutheißung terroristischer Straftaten“ gewärtigen. Und im Kunstfeld wird in all den Diskursen mit harten Bandagen um Relevanz gekämpft.

Wer sich also Für und Wider, Pro und Contra, ganz allgemein aber eine zum Schauprozess inszenierte, erstaunlich sachliche und ruhige, als Gerichtsprozess verkleidete Diskussion, die über viele Stunden hinweg geht, ansehen will, kann das auf YouTube tun.

  1. YouTube-Playlist zum ersten Prozess. ↩︎
  2. YouTube-Playlist zum zweiten Prozess. ↩︎
  3. Die Videos sind schon da, die YouTube-Playlist ergänze ich hier, sobald sie verfügbar ist. ↩︎

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