Sonntagsarabesken #62

Gaetanos Verstand hatte sich verwirrt. Man wußte es; die Sache war längst Gesprächsthema der Salons und Soiréen geworden. Doch bei seinem Eintreten verstummte das Getuschel. Unter dem scharfen Blick seiner dunklen Augen erröteten die giftigsten Klatschmäuler und hoben betreten die Fächer an die verräterisch glühenden Nasenspitzen. Äußerlich hatte er sich nicht verändert: Sein Rock saß makellos, die Krawatte war mit Stil gebunden, das wellige Haar sorgfältig nach hinten gekämmt. Mit einer nachlässigen Geste reichte er dem Pagen Mantel, Hut und Stock. Noch immer Schweigen. Er blickte in die Runde, die betretene Stimmung scheinbar ignorierend. Dann machte er zwei schnelle Schritte nach vorne, mit anklagend vorgestrecktem Zeigefinger, und rief der Herzogin von Parma zu: Du hast mich betrogen, verräterisches Herz! Du hast mich vernichtet! Du hast mein Leben zerstört! – Er griff sich an die Schläfe, als fühle er einen plötzlichen starken Kopfschmerz. Der Herzogin war das Blut ins Gesicht geschossen; das Gemurmel fing jetzt wieder an, diesmal lauter, bedrohlicher. Er schüttelte die quälerische Pose ab, reckte angriffslustig das Kinn, um schließlich in düstere Traurigkeit zu verfallen: Ich kann nicht mehr schlafen, seit sie gestorben ist, ich will nicht mehr einschlafen, ich will nicht mehr aufwachen, ich bin kein Mensch mehr, bloß eine gefolterte Kreatur. Und du? Was hast du getan? Hast mich abgewiesen, mir die letzten Kräfte geraubt, mich mit Füßen getreten! – Die Hände einiger junger Herren packten ihn bestimmend an den Schultern; Gaetano schüttelte sie ab. Die Herzogin von Parma winkte ihre Beschützern müde zurück. Den Kopf schiefgelegt, die wässrig blauen Augen halb geschlossen, schien sie die Beleidigungen des Verrückten förmlich herauszufordern. Doch ihre seltsam melancholische Gefaßtheit wurde im Gegensatz zum Toben des offenkundig wahnsinnigen Komponisten nicht registriert (obwohl jene eigentlich, mehr noch als diese, Anlaß zu bösartigem Gerede hätte bieten müssen). Nach einer scheinbar unendlichen Pause, in der nur das verzweifelte Schluchzen des auf die Knie Gesunkenen zu hören war, streckte sie schließlich die behandschuhte Hand aus. Er kroch darauf zu. Ja, er kroch über den kalten Marmorboden, in seinem feinen Anzug. Als er vorsichtig zwei ihrer Finger erreicht hatte und sich aus seiner gekrümmten Haltung erhob, um den Handrücken zu küssen, beugte sie sich zu ihm herab und fragte: Warum kommen Sie in Ihrem Zustand eigentlich hierher? – Wie rasend stürzte er sich auf ihre Hand, doch kurz vor dem Kuß wurde sie ihm entzogen; kurzes, kraftvolles Lachen, schrill und peinvoll für alle, die seine warme, tiefe Stimme von früher noch kannten. Dann flüsterte er: Weil ich dich liebe! – Sie lächelte plötzlich: Aber mein Bester, ich bitte Sie! Sie sind doch verrückt!