Sonntagsarabesken #78

Von Betonwänden umgrenzte Rasenfläche, sogenannter begrünter Hof. Die Stumpfsinnigkeit der Nachbarn kommt in den sich überkreuzenden Telefongesprächen zum Ausdruck. Banale Redereien über Politisches, Privates und das Wetter, glühende Ohren füllen sich mit sprachlichem Abfall, mit dem Dialekt einer längst vergessen geglaubten und vom Stadtrand auch zunehmend an den Rand des Bewußtseins gedrängten Provinz, und wie eine Entzündung flammt den Sprechenden die Geborgenheit ihrer ärmlichen Kindheit durch das Zwerchfell. Rituale und therapeutische Maßnahmen rund um den sogenannten begrünten Hof. Der Blick hinaus, die Wohnungen mit Etagenheizung im Rücken, am Fenster klebend und doch dem Kampf zwischen hartnäckiger Kälte und vordringendem Föhnsturm nicht ausgesetzt, dieser Blick führt genau in die Augen der gegenüber Wohnenden, die ihrerseits hinter durchbrochenen Vorhängen stehend die Nachbarn belauern. Deshalb werden solche Blicke zugleich vermieden und gesucht. Unbewußte Schlafzimmersoziologie wird entwickelt. In instinktiver Weise läßt sich das Beobachtete zu einem moralischen Bild der Umgebung verdichten; allerdings weiß keiner so genau, worauf er mit einem solchen Bild hinauswill. Aber auch wenn es sonst keinen Zweck haben sollte: Das Maul kann man sich wenigstens trefflich zerreißen! Dazwischen der begrünte Hof. Niemandsland, in das man die Kinder zum Spielen entläßt, freilich nicht, ohne ihnen zuvor eindringliche Warnungen die Nachbarskinder betreffend eingetrichtert zu haben. Der Hof wird zur Kampfzone. Es gibt keine Schonung, man macht keine Gefangenen. Blutüberströmt entkommt eines der Bälger seinen Peinigern. Entschuldigende Grimassen der Eltern können nicht über den tiefer wühlenden Haß hinwegtäuschen. Es war kein einfacher Unfall, sondern das Bein ist absichtlich in den Weg gestellt, der Ellbogen absichtlich hochgerissen, die Sandfontäne absichtlich aufgewirbelt worden. Die Gräben sind tief, die Fronten verhärtet; eisige Stille liegt bei Anbruch der Dunkelheit über dem begrünten Innenhof. Hinter den erleuchteten Wohnungsfenstern klingeln die Telefone. Schneestaub überzieht die Wege und den Rasen in schüchterner Bewegung mit dünnem Leintuch. Die einzig unschuldige Zeit ist angebrochen. Die Nacht.