Verkaufen nicht ganz so schön gestaltete Websites besser?

Manchmal, unter besonderen Umständen, aber doch, funktioniert hässliches Screendesign besser als das, was man als schön bezeichnen würde.

Verkaufen nicht ganz so schön gestaltete – ich will mich nicht zum Wort „hässlich“ hinreißen lassen, auch wenn der hier zitierte Artikel das Wort „ugly“ nutzt – Websites besser? Sind die Conversion Rates auf solchen Seiten höher? Noah Davis hat dazu eine interessante Meinung, die, natürlich auf den Kontext bezogen, den gemeinhein als natürlich angenommenen Bezug von Schönheit und Design zugunsten der Praktikabilität und Aufgabenstellung aufhebt.

Sometimes, design imperfections—whether they’re garish colors, clashing fonts, or unintentionally dated aesthetics—could be driving conversions. […] These sites may seem visually repulsive by modern standards, yet they might be outperforming their more polished competitors in terms of sales and conversions. […] Sometimes, bad design makes people trust a website more. It’s a phenomenon tied to user psychology, consumer behavior, and even web history. Websites that look “ugly” often appear more authentic, human, and genuine. They lack the hyper-polished perfection that can sometimes come off as corporate or inauthentic. This is especially true in industries where trust is paramount, like e-commerce, health, or finance.

Noah Davis

Was aber macht „hässliches“ Webdesign (unter bestimmten Umständen) so attraktiv? Es ist, wie immer, die menschliche Psyche, die wir uns näher ansehen müssen, um zu verstehen, wieso Schönheit manchmal weniger gut funktioniert und wieso Hässlichkeit nicht selten attraktiver ist. Am Ende sollte es das Ziel einer jeden im (Web-) Design tätigen Person sein, die Userinnen und User glücklich zu machen, und nicht, ein für sich stehendes, aber von ihren Bedürfnissen abgehobenes Design zu entwickeln.

Perfekt ist nicht perfekt

Oft ist es die Imperfektion, die Perfektion erst möglich macht, wenn man ein offenes Ohr dafür hat, was Perfektion eigentlich bedeutet. Ich selbst bin da ganz bei Slavoj Žižek, der Perfektion fast schon paradox sinngemäß als einen Zustand definiert, der schon sehr, sehr gut – eben fast perfekt – ist, der aber gleichzeitig bei Betrachtern, Nutzern und anderen, die mit diesem Zustand konfrontiert werden, den Wunsch auslöst, noch an ein paar Stellen nachzubessern, um Perfektion zu erreichen. Anders formuliert: Fast perfekt ist perfekt.

Beispiele dafür gibt es viele. Rick Beato hat vor einiger Zeit die fatale Perfektion in der Musik beklagt, die dazu führt, dass sie langweilig und austauschbar wird, und somit nicht mehr perfekt ist; weil sie – und jetzt kommt der Test, ob ihr, liebe Leserin und lieber Leser, den vorigen Absatz tatsächlich verstanden habt – eben perfekt ist. Oder Mailchimp. Denken wir an Mailchimp bevor es von Inuit übernommen wurde. Mailchimp war sympathisch schrullig; heute ist der Newsletterservice ein visuell aufpolierter SaaS mit allem, was man an negativen Gedanken dazu aufbringen kann. Man nutzt den Service, mag ihn aber nicht. Es gibt unzählige Beispiele, die aus Websites, auf denen man sich wohl gefühlt hat, Websites gemacht haben, die wir wohl alle als „besser“, „schöner“, jedenfalls „aufgeräumter“ bezeichnen würden, die damit aber ihre Seele verloren haben und uns heute keinen Spaß mehr machen.

Was macht hässliche Websites attraktiv?

Noah Davis nennt die Gründe für die höheren Conversion Rates hässlicher (oder eben nicht ganz so schön gestalteter) Websites und ich kann, je mehr ich darüber nachdenke, jeden einzelnen Punkt immer besser nachvollziehen.

1. Hässliche Websites wirken menschlicher

Besucherinnen und Besucher haben das Gefühl, mit etwas zu interagieren, das von einem Menschen geschaffen wurde. Und nicht mit einer kalten, womöglich (bald schon mittels KI oder sonst irgendwie) automatisiert generierten Website.

2. Low-Budget wirkt vertrauenswürdiger

Webdesign, das low budget wirkt, wirkt vertrauenswürdiger und ehrlicher. Ein besonders interessanter Punkt, weil Noah Davis eine Verbindung zwischen dem Bedürfnis, etwas verstecken zu müssen, und schönem, aufpoliertem Design herstellt. Eine Kombination, die, wenn man einmal darüber nachdenkt, sofort plausibel wirkt, die wir aber gerne übersehen.

Und mittlerweile schwingt dieser Gedanke wohl bei jedem und jeder mit: Gerade im E-Commerce kann ein aufwändig gestalteter Webauftritt mitunter Skepsis über die Ehrlichkeit des Betreibers auslösen. Skepsis ist ein Conversion-Killer, gleichzeitig aber auch berechtigt, denn modernes Webdesign, vor allem, wenn es im Dienste des E-Commerce steht, wird gerne und oft mit Dark Patterns assoziiert.

Meine Güte, dieser Punkt – modernes Webdesign will mich ja nur zu irgendetwas zwingen – ist wirklich gut und weitere Überlegungen wert!

3. Der Widerspruch von Design und User Experience ist eine positive Überraschung

Eine hässliche Website, die aber gut funktioniert, wird für Userinnen und User zu einer positiven Überraschung und trägt auf diese Art und Weise umso mehr zur positiven Wahrnehmung des Unternehmens oder der Leistung bei. In anderen Worten: Hässlichkeit im Screendesign, aber Perfektion in der User Experience sind ein für die Optimierung der Conversion Rate sehr potentes Duo.

Aber Achtung! Eine gute User Experience bedeutet nicht unbedingt eine zu stark vereinfachte User Experience. Noah Davis geht in einem anderen, ebenso interessanten Beitrag, auf genau dieses Problem ein und weist auf die „dunkle Seite der Übersimplifizierung“ hin, die dann schlagend wird, wenn man an der falschen Stelle zu vereinfachen beginnt.

There’s a difference between deliberate cognitive friction and unnecessary friction. […] There’s a growing trend in the UX world to reduce every element to the bare minimum. […] But […] sometimes, that’s a bit too much. […] Because reducing everything down to its simplest form can remove the very elements that make the site interesting. A little bit of complexity, a little bit of friction, can create a more compelling experience. When we reduce everything to basic shapes and clear-cut options, we might be creating a clean, efficient design—but we’re also sucking the life out of it.

Noah Davis

Und auch hier gilt wieder: Userinnen und User fühlen sich besser, wenn sie mit ein klein wenig Verunsicherung konfrontiert werden (und diese auflösen können), wenn wir sie mit einer winzigen Challenge, die sie lösen können, herausfordern, oder wenn wir sie zu Entscheidungen nötigen (das Wort ist ungut, mir fällt aber kein besserer Begriff in der deutschen Sprache ein), die, sind sie einmal getroffen, zu ihrem eigenen Wohlbefinden beitragen.

Und eine solche Entscheidung, Challenge oder Verunsicherung kann durch hässliches Screendesign entstehen.

4. Nostalgie, Vertrautheit und Stabilität

Für diejenigen, von uns, die das alte Internet noch kennen, kann Design, das heute als hässlich bezeichnet wird, früher aber ganz üblich war, Gefühle von Nostalgie und Vertrautheit auslösen. Automatisch fühlen wir uns auf so einer Website wohler als auf ultra-minimalistisch gestalteten Websites, die mit revolutionären Navigationskonzepten und anderen, Friktion verursachenden Verbesserungen aufwarten können.

Dieser Punkt ist natürlich nur für eine bestimmte Altersgruppe relevant; bei jüngeren Userinnen und Usern könnte so eine Website sogar abschreckend wirken.

Was aber wieder für alle gilt, und das ist ein Punkt den Noah Davis so nicht erwähnt, der mir aber schon öfter aufgefallen ist: Verstaubt (oder halt eben „hässlich“) aussehende Websites, die mit guter User Experience aufwarten können, wirken gewissermaßen erprobt und stabil. Aufgrund ihres Erscheinungsbildes schwingt auch der Eindruck von „über die Jahre stabil“ mit. Und nichts ist besser, beruhigender und Vertrauen erweckender als ein über die Jahre hinweg stabiles Angebot eines offensichtlich erfolgreichen Unternehmens.

So gesehen ist „Vertrautheit“ hier gar nicht so sehr als „bekannt“ im Sinne des Wiedererkennens zu verstehen, sondern vielmehr als Schlüsselindikator für etwas mit „Bestand“.

5. Websites sehen sich immer ähnlicher

Ein weiterer Punkt, den Noah Davis nicht erwähnt, sondern einer, den ich hier ergänzt habe: Hässliche Websites können allein deshalb schon mit einer erhöhten Aufmerksamkeitsspanne punkten, weil sie eben nicht so aussehen wie alle anderen Websites auch. Das Problem, dass sich Websites immer ähnlicher sehen, ist seit Jahren schon bekannt; einen alternativen Look zu finden, ist mittlerweile richtig schwierig oder endet in solchen Usability-Monstrositäten wie der Apple-Website.

Wenn eine Website aber mit einer lange erprobten, dann aber aufgrund irgendwelcher Designtrends aufgegebenen Optik aufwarten kann, so kann allein das Wiedererkennen dieser dem Design und dem Aufbau inhärenten Logik (oder, im Falle jüngerer Userinnen und User, das Entdecken derselben) zu einem Erfolgserlebnis führen.

Auf den Kontext kommt es an

Noah Davis schließt seinen Artikel mit dem offensichtlichen Punkt, dass es bei der Entscheidung, eine Website „hässlich“ oder – die Formulierung gefällt mir besser – nicht ganz so schön zu gestalten klarerweise auf den Kontext ankommt. Der setzt sich nicht zur aus der Branche und der Nische, in der man spielen möchte, zusammen, sondern vor allem aus den Charakteristika des Zielpublikums. Wie fühlt es? Was benötigt es? Was erwartet es sich? Sind Authentizität und einfache Bedienung wichtiger als aufpolierte und reduzierte Designs? Kann es für dieses Zielpublikum eventuell sogar besser sein, sein Online-Angebot tendenziell in dem Sinne „hässlicher“ zu gestalten, als dass wir einfach moderne Ansprüche an Design außer acht lassen?

Ich habe vor sehr langer Zeit einmal schon gegen hässliches Design argumentiert, da war es aber nicht – wie heute – ein gezielt eingesetztes Stilmittel, um Conversions zu generieren, sondern tatsächliche Hässlichkeit, die mich für den aufpolierten und gut gestalteten Webshop argumentieren ließ. Kurze Zeit später wurde es konkret und ich habe mich explizit aufs Design eines Shops bezogen (und mich auch damals für die bessere Variante entschieden). Ganz besonders interessant im letzten Fall: Schon damals ging es um den Zusammenhang von Vertrauen und dem Erscheinungsbild einer Website bzw. eines Onlineshops.

Und noch ein abschließender Punkt: Für mich erschließt sich, was Noah Davis da an Überlegungen anstellt, sehr gut. Ich habe dennoch mit noch keinem einzigen (Web-) Designer und keiner einzigen Designerin gearbeitet, die von selbst auf diese Idee(n) gekommen wäre. Was ich allerdings erlebt habe, waren Kundinnen und Kunden (ja, Plural!), die von sich aus auf einem Look für ihre neu zu gestaltenden Websites beharrt haben, der dem entspricht, was im Artikel als „hässlich“ bezeichnet wird.

Der Bedarf nach so etwas ist also nicht von der Hand zu weisen. Der Mut, sich aktiv für die Nutzung hässlichen Designs auszusprechen, fehlt aber offenbar.

Challenge accepted.

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