Joseph Fasano hat ein Gedicht für einen Studenten geschrieben, der eine Arbeit vollständig mittels Künstlicher Intelligenz verfasst hat1. Essentielles Thema: Was genau hat er sich damit eigentlich genau erspart?
Now I let it fall back
in the grasses.I hear you. I know
this life is hard now.I know your days are precious
on this earth.But what are you trying
to be free of?The living? The miraculous
task of it?Love is for the ones who love the work.
Joseph Fasano
Ich denke, dass hier Lebensstile betrachtet werden. Auf der einen Seite gibt es diejenigen, die ein gelungenes Leben in der kontinuierlichen Verbesserung des Lebens ansehen, diejenigen, die sich ein Leben lang dem Lernen und dem Optimieren ihres eigenen und somit auch dem Leben ihrere Mitmenschen widmen. Sie sehen in der Möglichkeit, Zustände und Umstände positiv zu verändern, den Lichtblick, Sinn und Zweck ihrer Menschlichkeit.
Dann, aber, gibt es auch diejenigen ohne Interesse daran, Verbesserungen für sich und somit auch für alle zu erlangen. Sie sind lediglich daran interessiert, ihren eigenen Vorteil stetig auszubauen. Für sie sind die Herausforderungen des Lebens keine Chance, Gutes und Fortschrittliches zu tun, sondern eine Serie von Hindernissen, die man so wenig Schaden nehmend wie nur möglich hinter sich bringen muss. Werden sie mit Herausforderungen konfrontiert – wie eben dem Verfassen einer Arbeit – bedienen sie sich jedes, ihnen probat erscheinenden Mittels, um das mit so wenig Aufwand wie nur irgendwie möglich zu tun. Es liegt ja in der Natur dieser Menschen, den Aufwand gering zu halten; die Tätigkeit, in dem Fall ihre (Aus-) Bildung, nehmen sie nicht als Verbesserung für ihr Leben oder das ihrer Mitmenschen wahr. Für sie ist es ein Stein, der ihnen im Weg liegt. Ich fürchte aber, dass sie alle nicht wissen, wohin dieser Weg führt, dem sie mit so viel Energie und dem kontinuierlichen Eifer desjenigen, der zu spät dran ist, hinterherlaufen.
„Love is for the ones who love the work“, schreibt Joseph Fasano am Ende seines Gedichts. Und je mehr ich mir die zwei Menschen, die ich oben skizziert habe, vorstelle, desto mehr sehe ich, wie die ersten auch die Liebe als Herausforderung sehen, die sie besser macht; die zweiten – ui, jetzt lehne ich mich aber mächtig aus dem Fenster – hingegen als eine Art Hindernis (mit schönen Momenten), das ihnen aber im Großen und Ganzen auch irgendwie im Weg steht. Ich blicke mich um, sehe mir ein paar Freundinnen und Freunde an und sehe plötzlich, dass diese wenig schmeichelhafte Interpretation durchaus zutrifft. Wer alles unter dem Gesichtspunkt der Effizienz betrachtet, wird seinen Kosten-Nutzen-Rechnung zu Ungunsten dieses so hohen Gutes – Liebe – aufgehen lassen. Wer braucht denn schon Liebe, Zuneigung und sonstige Formen von Affektion? Sie stört einen ja nur, um endlich weiter zu kommen.
Lernen als kontinuierliche Verbesserung des Lebens
Ich bin ja nach wie vor der Meinung, dass Künstliche Intelligenz weniger der Zeitersparnis dient, sondern viel mehr, um Unkenntnis und andere Einschränkungen zu kaschieren. Wenn ich Joseph Fasanos Gedanken folge, dann bedeutet das aber auch, dass sie uns nicht nur auf einer Ebene der grundsätzlichen Einstellung zum Leben, sondern auch ganz konkret und unmittelbar der Möglichkeit beraubt, uns zu bessern. Das ist ein starker, interessanter und bewegender Gedanke.
Was ist denn Lernen anderes als die Arbeit des Lebens selbst, also die „wundersame Tätigkeit“, unser Leben kontinuierlich besser zu machen, in dem wir Erkenntnisse aufnehmen, zu Überzeugungen gelangen, unsere Horizonte kontinuierlich erweitern und somit mehr werden als wir ohne Lernen je sein könnten? Sie so gut als möglich als „Entfaltung unserer Fähigkeiten“ (und somit als Gewinn für nicht nur das Individuum, sondern für die ganze Gesellschaft) anzusehen? Wenn ich also diese das Leben selbst definierende Arbeit umgehe, in dem ich eine Künstliche Intelligenz die für mich bestimmte Arbeit machen lasse, was gewinne ich dann? Was hat für mich einen höheren Stellenwert als dieser Gewinn eines Lebens? Vor allem aber: Was erspare ich mir? Was ist mir wichtiger als die ohnehin für das Lernen reservierte Zeit? Was ist es, dem ich nachjage?
Lernen als für Menschen bestimmte Arbeit
Nach Lektüre von Joseph Fasanos anregendem Gedicht fiel mir ein Star Trek-Film aus 1998 ein (Star Trek: Insurrection), in dem das Thema des Auslagerns von für Menschen bestimmter Arbeit an Technologie ganz ähnlich hinterfragt und in einer Nebenhandlung angesprochen und argumentiert wird. Die Crew der Enterprise wird auf einen Planeten gebeamt, um eine angebliche Geiselsituation aufzulösen. Die Crew erkennt aber schnell, dass es sich um ein Missverständnis handelt, da niemand gegen seinen Willen festgehalten wird. Auch Picards erster Eindruck, es handele sich bei den Bewohnern des Planeten, den Ba’ku, um eine vorindustrielle und somit primitive Gesellschaft2, widerlegen die Einwohner selbst. Der einer von Maschinen fast gänzlich befreiten Agrikultur gewidmete Lebensstil, den die Ba’ku führen, ist Resultat einer bewussten Entscheidung gegen den Einsatz von (Hoch-) Technologie und nicht etwa einer, der durch Unvermögen oder durch externe Umstände bedingt ist.
In einem Dialog mit Vertretern der Ba’ku kurz nach seiner Ankunft bedarf es nur weniger Sätze, um Picard von der Philosophie der Ba’ku zu überzeugen und ihre Entscheidung zu begründen: Man soll Menschen nicht die Arbeit für Menschen wegnehmen. Übergibt man sie nämlich an Maschinen, nimmt man den Menschen etwas weg.
Ba’ku: Our technological abilities are not apparent as we have chosen not to employ them in our daily lives. We believe that when you create a machine to do the work of a man you take something away from the man. But at one time we explored the galaxy just as you do.
Picard: You have warp capability?
Ba’ku: Capability, yes. But where can warp drive take us except away from here?
Picard: I apologize for our intrusion.
Star Trek: Insurrection
Was für ein schöner Gedanke, den sowohl Joseph Fasano als auch die (Drehbuchautorinnen und -autoren für die) Ba’ku da haben: Was nimmt man einem Menschen weg, wenn man ihm die Arbeit für Menschen wegnimmt? Und wenn wir schon von Menschen sprechen, die die Maschine nutzen, weil sie die Arbeit nicht als Gewinn sehen, sondern als Hindernis; Hindernis auf dem Weg wohin? Was bleibt (in beiden Fällen), wenn die Arbeit erledigt oder das Hindernis beseitigt ist? Wovon sprechen wir eigentlich? Wovon befreit uns die Technologie, wenn wir Künstliche Intelligenz nutzen, um… eine Arbeit zu verfassen?
- Originaltitel: „For a Student Who Used AI to Write a Paper“ ↩︎
- Im Star Trek-Jargon, und um hier dem Film treu zu bleiben, handelt es sich eher um eine Pre-Warp-Gesellschaft, ich habe das aber vereinfacht dargestellt, um auch Menschen verständlich zu bleiben, die von den Star Trek-Vokabeln keine Ahnung haben. ↩︎