sonntagsarabesken

Er sucht sie. Sie sucht ihn. Doch beide finden sich nicht. Und als sie sich dann gefunden haben, war es auch schon wieder egal.

Sonntagsarabesken #43

Erscheinungen; wenn der Fluß glänzend wie eine Makrele auf venezianischem Markttisch in seinem Bett aus Stein liegt, träger Quecksilberspiegel, und stahlgraue Wolkenbahnen dunkles Azur durchziehen, dann sehe ich Dich vor…

Sonntagsarabesken #42

Wir haben einander lange nicht mehr gesehen. Wir haben einander lange nicht mehr berührt. Unsere Leben haben sich entknotet. – Er spürt, wie sich die Silben zwischen seinen Lippen formen,…

Sonntagsarabesken #41

Geschwindigkeit. Unter einem fleischfarbenen Himmel dehnen sich bewaldete Hügel, und gekühltes Bier in Flaschen rollt durch den Kofferraum. Wohin auch immer die Reise geht: Der schlechte Geschmack früherer Ungewißheit liegt…

Sonntagsarabesken #40

Er sitzt im Il Tempo und genießt ihr Gesicht. Die großen, wasserblauen Augen haben die Unschuld von vor sieben Jahren bewahrt; doch rundherum? Kurze schwarze Haare, am Ansatz kastanienbraun aufgehellt,…

Sonntagsarabesken #39

November in Neapel. Ein milder Abend. Drei Freunde saßen auf der Terrasse eines Fischrestaurants beim Nachtisch. Der Sherry war vorzüglich. Gedämpft drang der Lärm des Hafens über die spiegelglatt liegenden…

Sonntagsarabesken #38

Nicht verwirren lassen: Trotz aller formalen Indizien, die dafür sprächen, handelt es sich hierbei nicht um eine IP-Episode. Es ist beschissen, ein gutgläubiger Romantiker zu sein. Noch beschissener ist es…

Sonntagsarabesken #37

Seit der Maimitte versuchten die Franzosen mit verzweifelter Anstrengung, den Schwerpunkt der Maaskämpfe auf das rechte Ufer hinüberzureißen. Nach einer riesigen Artillerievorbereitung holten sie zu einem wuchtigen Schlage gegen Fort…

Sonntagsarabesken #36

Vielleicht gibt es in den frühen Stunden der Nacht – einer verregneten, kalten Wiener Sommernacht – keinen schöneren Trost als Deine Zeilen. Tausend kleine Tode bin ich gestorben. Beinahe unspürbare,…

Sonntagsarabesken #35

Eingehüllt in kalten Wasserstaub steht sie gegen den Zaun gelehnt und wartet. Ihr Gesicht ist ausdruckslos, reglos sogar. Über eine Haarsträhne, die ihr in die Stirn gerutscht ist, perlen Regentropfen.…

Sonntagsarabesken #34

Eine unaufgeregte Woche ist vorüber. Sonne und Regen und Sonne haben mir zu verstehen gegeben: Du bist glücklich! Und die samtweiche Stimme von Carlos Gardel tat ihren Teil dazu. Die…

Sonntagsarabesken #33

Eine Stadt wie eine Liebe, so aufregend, so betörend, so leidenschaftlich. Eine Liebe wie eine Stadt, so bevölkert, so chaotisch, so verwinkelt. – Aus der Stadt der Städte zurückgekehrt in…

Sonntagsarabesken #32

Canzoniere Notturni Romani In Gedanken ist mir der Pazifik nahe, Das südliche Gestirn, das göttliche Blau Der Wellenkämme, der Augen, Deiner Augen, Das silbrige Grau, das ich nur einmal fand.…

Sonntagsarabesken #31

Regen in Rom; dunkler, umschatteter Gewitterhimmel. Blütendolden neben der Stiege von Aracoeli verströmen einen unwirklich betörenden Duft, Wassertropfen neben schillerndem Violett, so violett wie die Augen, in deren Glanz sich…

Sonntagsarabesken #30

Thou art more lovely and more temperate – Zittern der Zeit, im Zug von Neapel. Zur Linken schimmert verheißungsvoll das Meer, eine silbrige, zerknitterte Fläche, die hinter müde hingestreckter Ölbaumlandschaft…

Sonntagsarabesken #29

Sie saß auf der Uferböschung und blickte hinaus über den Fluß, weit hinein in die Eingeweide der Stadt; Nervenstränge, Blutgefäße, Knochen und Organe, nach außen geklappt, quollen ihr förmlich entgegen,…

Sonntagsarabesken #28

How airy and how earthed it felt up there, Bare to the world, light-headed, volatile And carried like the rests in tide or music. Seamus Heaney, Seeing Things, No IV, 1991…

Sonntagsarabesken #27

Eine Seele größer als der Ozean. Sie brandet an den Strand meiner Wahrnehmung. Sie füllt die Tiefseegräben meiner Hoffnung. Braune Nacht liegt über den glatten Wellen. Das Bestimmte ist im…

Sonntagsarabesken #26

Es könnte sein, dass sich in diesem Augenblick zwei Leben kreuzen (zwei ganz bestimmte nämlich). Mit unsicherem Schritt geht der Mann die Straße entlang; seine Augen sind halb geschlossen, denn…

Sonntagsarabesken #25

Schuhe sind eine heikle Sache; wirklich. Sie haben eine Seele, davon ist auszugehen, vor allem in einer Stadt wie Rom. Hier ist vieles heilig, was sonst als unbelebt gilt. Bäume,…

Sonntagsarabesken #24

Verschiedentlich geschehen kleine Wunder, deren Ursprung ganz und gar unerklärlich bleibt; für immer. Sie verursachen jenen plötzlichen Stich in uns, der an die Schönheit des Lebens erinnert, gleichzeitig jedoch schmerzt,…

Sonntagsarabesken #23

Verschiedenes unerledigt; manches angedacht, manches nie ausgesprochen. Es wird die schönste Einsamkeit sein, und das hartnäckigste Schweigen. Die Schatten umspinnen mich. Es gibt keinen Gedanken mehr, der keine Schmerzen verursachte,…

Sonntagsarabesken #22

Mondgesicht, schönes, geheimnisvolles. Mit wiegenden Schritten stolziert sie die Straße hinab; die dünnen Kirschbäume stehen Wache (noch keine Blüten auf ihren kugeligen Häuptern, die Jahreszeit ist noch zu kalt, der…

Sonntagsarabesken #21

Gestern war er noch glücklich gewesen. Und jetzt? Gespenster, überall. Sie tauchten zwischen den Laken auf, aus den Falten, in denen noch die Wärme ihres Körpers knisterte, sie grinsten ihm…

Sonntagsarabesken #20

Eine Macht stampft über den Ozean; sie ebnet breite Wege durch das blühende Kulturland, durch die Wüsteneien und über eisbedeckte Bergeshöhen; flackernd in euren Fernsehschirmen, eingefroren im Lächeln eurer Moderatoren,…

Sonntagsarabesken #19

Y todo a media luz – que es un brujo el amor… Gedämpftes Licht. Was verbirgst Du? Was versprichst Du? Entkleidet sind alle Wahrheiten, wenn Du Dämmriges und Halbseidenes auf…

Sonntagsarabesken #18

Schnee legt sich über die Stadt; narbenübersäter Asphalt, festlich gekleidet (zur Hochzeit, sozusagen). Dampfender Atem, in Wölkchen ausgestoßen, eilt den hastenden Fußgängern voraus. Er blickt aus dem Fenster, die Hände…

Sonntagsarabesken #17

Ein Abschiedslied für die, die sich taub stellt. Ein Abschiedsbrief für die, die sich als Blinde ausgibt. Ein letztes Anstürmen gegen das hoch aufragende Eis, hinter dem der schweigende schöne…

Sonntagsarabesken #16

Kaskaden blauen Zigarettenrauches wirbeln zwischen den geflochtenen Blättern des Ventilators. Und die Welt ist in ihrer Mitte gefangen, solange die Musik nicht aussetzt. Gedämpftes Licht, ein Zimmer, dessen Fenster auf…

Sonntagsarabesken #15

So viele Lieder auf die Erinnerung. Erstickt in der heftigen Glut einer plötzlichen Eruption, wenn die Wirklichkeit in das Gedankenleben einbricht. Tränen, die auf einer viel strapazierten Tastatur trocknen; es…

Sonntagsarabesken #14

Noch überzieht der Geschmack nach Torf und verbrannten Gräsern Jakobs Gaumen. Er greift nach dem Glasteller mit der dunklen Schokolade, nimmt ein Stück, steckt es gedankenverloren in den Mund. Bittere…

Sonntagsarabesken #13

Ora e per sempre addio sante memorie, addio, sublimi incanti del pensier! Addio schiere fulgenti, addio vittorie, dardi volanti e volanti corsier! (G. Verdi, Otello, Atto II – Libretto: A.…

Sonntagsarabesken #12

An der Oberfläche einer polierten Marmorkugel hängen wie Honigfäden die dünnen Schlieren des Morgentaus. Das Gesicht dessen, der hineinblickt in die Eingeweide des Steins, wird in grotesker Krümmung verzerrt. Die…

Sonntagsarabesken #11

Schatten rüsten sich zur Schlacht, und die Erde donnert unter ihrem luftleichten Marschtritt. Ein Tag und eine Nacht reichen oft aus, den Lauf der Welt zu ändern; und wenn schon…

Sonntagsarabesken #10

Wie gehen Geschichten aus, die keinen richtigen Anfang hatten? Entweder gar nicht oder tragisch – oder beides. Nur hat in einem solchen Fall weder das tragische noch das fehlende Ende…

Sonntagsarabesken #9

Ein Fremder. – sagt sie, mit kurzem Blick herüber, und lächelt. Tatsächlich. Ein Fremder. Es ist die Wahrheit, gesteht sich der abendliche Besucher später im kalten Wind auf der Gasse…

Sonntagsarabesken #8

Die Alte Welt ist hinter dem Horizont verschwunden. Der Ozean umgibt uns. Noch leben wir. Wie lange noch? Die Unbescheidenheit trieb uns hinaus aufs Meer, angelockt von flackernden Lichtern am…

Sonntagsarabesken #7

Auf einer fernen Insel sitzt das Grauen und leckt sich die Lippen. Ihr wollt wissen wie es aussieht? Ob es tatsächlich blaue Fingernägel und aschgraue Wimpern hat, und ob sein…

Sonntagsarabesken #6

Schreiben für Dich, die Du es nicht lesen wirst. Ich bin nicht verzweifelt oder gedemütigt oder verletzt zurück gelaufen in die sichere Festung alter Bindungen, wenn Du das glaubst. Ich…

Sonntagsarabesken #5

Diesmal werde ich keine Geschichte erzählen; das verspreche ich. Vielleicht ist wieder die Zeit gekommen, in Selbstmitleid zu baden, aber auch dies soll heimlich und ganz im Stillen geschehen, und…

Sonntagsarabesken #4

Das Rascheln hunderter Fächer, blitzende Colliers, rauschende Roben; die Logen gut gefüllt mit Mailands bester Gesellschaft. Im gedämpften Honiglicht der Bühnenkerzen bewegen sich die dunklen Silhouetten der Sänger, der Maestro…

Sonntagsarabesken #3

Vor einem Monat scheint sich gewissermaßen alles auf den Kopf gestellt zu haben; vor einem Monat war alles ganz anders, im Nachhinein betrachtet: fremd und unwirklich, und doch das, was…

Sonntagsarabesken #2

Es mag kurioser Zeitvertreib sein, aber ich will ihn doch wagen (ohne einen Gedanken an das mit Sicherheit dräuende Missvergnügen zu verschwenden, welches ein Teil der Leserschaft einem solchen Versuch…

Sonntagsarabesken #1

Die Tröstungsmaschinerie des Lebens läuft auf Hochtouren. Und das ganz von selbst. Wäre da draußen, in dem grellen Licht, das wir Welt nennen, nicht der Unterton des Glücks gegenwärtig… ja,…