Bälle, Rituale, Tanz

Dominik schreibt über „Die Ballsaison und ihre Auswirkungen1„, er schreibt über das Flair, den jeder Ball hat, über die Eigenheiten, die jeder Ball hat und darüber, das eigentlich nicht der Ball selbst das Lustmoment ballbesuchischen Daseins ausmacht, sondern sehr wohl, wenn nicht ausschlaggebend die Begleitung, egal nun, ob es eine Dame oder ein ganzer Freundeskreis ist. Bälle sind für ihn nach wie vor von besonderer Bedeutung. Und dabei ist das ja gar nicht so!

Bälle, wie sie in Wien veranstaltet werden, sind Abglanz dessen, was sie einst waren. Ihr primärer Zweck, nämlich die Einführung von jungen Persönlichkeiten in die Gesellschaft, ist völlig weggefallen. Andere Nützlichkeiten, die Bälle so an sich hatten, gibt es auch nicht mehr, denn wer geht heutzutage auf einen Ball, um dort zu tanzen? Man tanz auf Bällen, ja, allerdings nur nebenbei, zwischen Aperitif und Vorspeise und vielleicht noch vor dem Dessert. Bälle sind vielmehr eine Zusammenkunft von Menschen, die sich über die Zusammenkunft der Menschen auslassen. Da stehen die Grüppchen in den diversen Ecken verteilt und betrachten andere Grüppchen, setzen an ihnen etwas aus und erfreuen sich so vier bis sechs Stunden lang daran. Das unterscheidet die Ballbesucher von heute sicherlich nur wenig von den Ballbesuchern von damals, nur dass damals dann ab und zu ein Herr vorbeikam und eine der Damen zum Tanze aufforderte, damit der Erstkontakt, kaschiert durch ein Minuett, erfolgen konnte. Debütieren konnte man damals halt noch in zweifacher Weise. Der erste gemeinsame Tanz, der in Form gefasst Zwang körperlicher Nähe als einzige Ausfluchtmöglichkeit emotional bedingten Wollens hat sich so aufgelöst. Tanz emanzipiert sich. Tanz erfolgt nun als Draufgabe, nicht als Primärkonstrukt, um Freundschaft zu erlangen, denn kennenlernen tut man sich außerhalb von Bällen und spezifischen sozialen Aktivitäten. Man kennt sich und intensiviert vielleicht die Beziehung am Ball.

Doch dieses Gelaber über Bälle in Wien interessiert mich weniger. Was mich tatsächlich interessiert ist, wie man es überhaupt möglich machen und schön finden kann, dass Tanz als institutionalisiertes Etwas gehandhabt wird. Ich verstehe, dass man Tanzkurse machen muss, ich verstehe, dass man sich – ähnlich einem Sport – Techniken anlernen und den Umgang mit den Tanzpartnern erarbeiten muss, aber was um Himmels Willen bringt Menschen dazu, Tanz als etwas nicht Spontanes durchzuführen, horribile dictu als geplanten Tagesausflug zur Möglichkeit des Tanzens wie es von Hunderten, ja Tausenden Jugendlichen gehandhabt wird? Tanz ist nichts Planbares, nichts Gewolltes, er muss spontan und emotional behaftet sein, frei von jeglichen Zwängen, frei von jeglichen Formalitäten, denn nur dann ist Tanz das, was er ausdrücken will. Nur dann nehme ich einem Tänzer ab, dass seine Mimik genuin und gewollt, nicht aber einstudiert und gespielt ist, nur, aber nur dann nehme ich Damen, die sich hier erstmalig trauen, sich figurbetont zu bewegen ab, dass sie das, was sie darstellen wollen, auch tatsächlich repräsentieren können.

Eingezwängt in ein Korsett irgendwelcher Regulierungen lassen die Menschen hier ihrer tatsächlichen Körperlichkeit freien Lauf. Doch wie? Abermals in einem Korsett! Brav werden hier die gelernten Abfolgen getanzt, weil man nicht Mumm hat, Neues zu probieren und wenn, dann bitte nur mit Trainer. Sechzehn-, Siebzehnjährige, die am Gipfel ihrer Körperlichkeit stehen, melden sich zu Hauf in Formationen an, in denen sie sich ein wenig gehen lassen können – selbstverständlich in gemäßigtem Rahmen und nur dort, wo es von den Eltern gut geheißen wird.

Vielleicht bin ich ein wenig von meinem Aufenthalt in Kuba geblendet, der mir zum ersten Mal die Augen diesbezüglich geöffnet hat, aber doch muss ich feststellen, dass dort Tanzen wie ein körperliches Bedürfnis zwischen Mann und Frau abgelaufen ist. Wer tanzen wollte, tanzte wer lieber einen Rum nach dem anderen in sich schüttete, der tat das und es kümmerte keinen oder jeden, je nachdem. Hier war Tanz noch spontan, hier tanzten sogar Touristen unter Bedingungen, unter denen sie in ihren Heimatländern niemals tanzen würden. Und die konnten es meist gar nicht! Es wurde getanzt, weil es Spaß machte und aus sonst keinem Grund. Und so soll es sein und ich hör jetzt hier auf.


  1. Der Artikel ist leider nicht mehr online.