996-Arbeitsmuster

Ich wusste nicht, dass es bereits einen Fachbegriff gibt zu einem „inoffiziellen Arbeitsrhythmus, und zwar von 9 bis 21 Uhr täglich an sechs Tagen die Woche“: 996-Arbeitsmuster. Es macht – eh klar – krank. Von Arbeitgeberseite aus hört sich die Argumentation für diese Selbstaufgabe allerdings so an: „[Unsere Kultur ist es], mit vollem Herzen und Einsatz zu arbeiten [um die Geschäftsziele zu erreichen]“. Die Website 996.icu bezieht sich auf China und die Arbeitsverhältnisse dort.

Bei uns, so meine Erfahrung, wird das 996-Muster genauso angewendet, nur etwas anders verpackt:

  • Der All-In-Vertrag als rechtliche Grundlage. Das ist natürlich vor allem in den Bereichen Marketing, Sales, [hier Geschäftsgebiet einsetzen] oder sonstwo „halt so“.
  • Die ständige Erreichbarkeit, auch am Wochenende, quasi das Damoklesschwert und somit eine latente Androhung, bei weniger als der ständigen Erreichbarkeit nicht an die überlebensnotwendigen Bonuszahlungen und Provisionen zu gelangen. (Dass das Fixum ein lächerlicher Betrag ist, davon reden wir gar nicht.)
  • Schwammige, unpräzise Begrifflichkeiten – Motivation, Engagement, Spirit und all der Bullshit -, sowie die Bereitschaft, mehr als die anderen zu investieren – als festgesetzte Codices zur Evaluierung der eigenen Leistung. Interpretationsspielraum, galore!

Zu diesen Themen wird es sicherlich noch viele weitere Beispiele geben, mit welchen rechtlichen Konstruktionen gearbeitet wird, um den – meine Güte, jetzt wird’s fast marxistisch hier – Mehrwert des Arbeitslebens ohne Mehraufwand abschöpfen zu können. Klar, dass bei einer Konstruktion mit All-In-Vertrag, ständiger Erreichbarkeit und kontinuierlich wachsender Motivation zusätzlich zur regulären Arbeit die kontinuierliche Akquise nach innen und außen anfällt; selbst wiederum nur der Glaube, an die unwahrscheinliche Möglichkeit eines beruflichen Aufstiegs als sichere Rechtfertigung für eine Abwärtsspirale des Verkaufswerts. „Aber der Titel, ich bin jetzt [hier irgendeinen Berufstitle einsetzen]!“

Es wundert mich wirklich nicht, dass so viele Arbeitnehmer, vor allem solche in Unternehmen mit „Startup-Kultur“, dieses meistens im Alter zwischen 30 und 35 Jahren vollkommen ausgelaugt, unzufrieden und nicht selten depressiv, vom Leben enttäuscht und von der eigenen Leistung, manchmal sogar vom eigenen Wert nicht mehr überzeugt verlassen. Ich kenne einige solche Fälle: Manche haben schon früh bemerkt, dass sie das Falsche tun, viele erst später, weil sie sich immer und immer wieder eingeredet haben, es schaffen zu können (was ist „es“?).