Auffinden chinesischer Freunde

Es ist nicht unbedingt leicht innerhalb kurzer Zeit in einem fremden, kulturell völlig andersartigen Land Freunde zu gewinnen. Bekanntschaften, flüchtig, freundlich, aber auf neutralem Level: ja, aber Freunde mit denen man streiten, lachen, heulen und denen man Dinge anvertrauen oder sie um etwas bitten kann: nein. So würde ich die Aussage für Österreich stehen lassen. Wie sieht es in China aus? Eigenartig, wirklich eigenartig, denn in China, soweit ich das jetzt beurteilen kann, verschwimmen die Grenzen unserer westlichen Vorstellungen von Freundschaft: Da kann man schon mal eine flüchtige Bekanntschaft um einen Gefallen bitten, der dann mit der Qualität erledigt wird, die bei uns Freundschaft an den Tag legen würde, andererseits fühlt man sich im Hafen der Freundschaft sicher ruhend, kann es sein, dass sich selbige plötzlich als flüchtige Bekanntschaft entpuppt. Mit diesem Hin und Her bin ich also momentan konfrontiert und muss mich wirklich an diesen Zustand gewöhnen. Kultur und Eigenart, ich hätte eure Einflüsse niemals so stark geschätzt!

Österreicher? Oder doch lieber Chinesen?

Zu meiner Lage gesellt sich noch ein persönlicher Wunsch dazu: ich möchte nämlich meinen Freundeskreis nicht im Umfeld westlicher Bars und westlichen Lebens hier in Shanghai machen, sondern womöglich den Spagat zum chinesischen Leben schaffen und genau dort so angenommen werden, dass eine Freundschaft entsteht, die gemischten (nämlich chinesisch-österreichischen) Ursprungs ist und nicht rein westlichen Ursprungs. Es genügt mir auf der Straße westliche Männer mit chinesischen Frauen herumspazieren zu sehen, deren einziges Ziel, auf das sie sich auch tatsächlich durch das Studium der Sprache und der gängigen Rituale vorbereitet haben, es ist, China gen Westen zu verlassen. Das ist Benutzen und keine Freundschaft (und genauso verabscheue ich jene westlichen Männer, die genau das ausnutzend in Asien eine angenehme Zeit verbringen und sich dann, posierend mit ihren „Eroberungen“ auf unendlich vielen Fotos prahlerisch darstellen). Es ist das Ganze eine Sache, die man vielleicht unter Aspekten saidschen Orientalismus sehen muss, damit es Sinn macht, aber was soll’s. Außer, dass ich Verachtung zeige, kann ich auch schon nicht mehr tun.

Ich habe Kollegen (und Kolleginnen), deren erstes Ziel, sobald sie in Shanghai waren, es war, Österreicher in Shanghai zu treffen! Für mich bricht bei einem solchen Gedanken die Welt und der Inbegriff des Urlaubmachens zusammen, aber bitte, macht doch was ihr wollt!

Anonymisierung: die andere Seite

Die Schwierigkeit, nämlich das Auffinden chinesischer Freunde, kann schnell zur Unmöglichkeit werden, vor allem, wenn man in einem Umfeld wie Shanghai, einer Großstadt, die sowieso zur Anonymisierung neigt, lebt. Unter Aufgabe einiger Gewohnheiten, die man aus dem Westen mitbringt, kann es doch gelingen in das Chinesentum einzudringen und irgendwann so behandelt und akzeptiert zu werden, dass man zwischen einem selbst und anderen Chinesen keinen Unterschied mehr merkt (mit Ausnahme der etwas deutlicheren Sprache, die man zu hören bekommt, wenn man nicht sofort pariert)! Und dann bekommt man plötzlich intime Details zu hören, die genau das von mir beschriebene Problem von der anderen Seite her beleuchten, von chinesischer nämlich. Und hier stellt sich eine Eigenschaft der Besucher zu den Problemen dazu, die es Chinesen sehr schwierig macht, sich so zu verhalten, wie sie es Freunden gegenüber tun würden. Diese Schwierigkeit ist der (unvermeidbare und teilweise unbewusste) Chauvinismus, den Besucher an den Tag legen, wenn sie nach China kommen. Und jeder, der schon einmal da war, möge jetzt in sich gehen und darüber nachdenken, ob es da nicht vielleicht irgendwann einen Moment gegeben hat, in dem man mit dem Hintergedanken einer prinzipiellen Superiorität der Heimat (oder der eigenen Person) seinen Wunsch, seine Beschwerde oder seine Aussage einem Chinesen gegenüber getätigt hat.