Die Überfahrt von Haikou nach Sanya gestaltete sich angenehmer als erwartet. Erstens verlässt alle zwanzig Minuten ein Bus die Hauptstadt in Richtung Süden, zweitens hatte ich Glück und habe einen vollklimatisierten de luxe Bus erwischt, drittens war der Bus nur zur Hälfte gefüllt. Da sich dennoch jemand neben mir niederließ und das Gepäck sowieso nicht optimal verstaut war und überhaupt, bin ich nach hinten übersiedelt und habe es mir in der vorletzten Reihe neben einer schüchternen Chinesin (ca. 25-30 Jahre alt) gemütlich gemacht, die sich in wenigen Minuten als viel weniger schüchtern als ich dachte herausstellen sollte.
Ich stellte mein Gepäck auf die Rückbank und begab mich ins ipodsche Universum als es plötzlich an meiner Schulter klopfte und die schüchterne junge Dame mich ansprach:
Sie | Geben Sie mir den iPod, ich will Musik hören! |
Ich | Nein. Ich will selbst hören. |
Sie | Hmpf. |
Ich | Na gut, einen Ohrhörer. |
Und sie setzte sich zu mir und hörte, sang mit und irgendwann dazwischen, als ich plötzlich einen mechanisch-ziehenden Schmerz in meinem Ohr spürte, tanzte sie gerade im Sitzen! Jedenfalls gelang es dieser Frau meine Sympathien zu wecken – ich weiß nicht, warum! -, ich erbarmte mich ihrer und erklärte ihr, dass da eben nicht nur Musik aus den USA drauf war, sondern dass es auch andere Länder auf dieser Welt gäbe, die Musik machten. Sie war ziemlich erstaunt, neugierig und interessiert, stand ganz besonders auf italienische Musik (weil die Sprache so schön ist, so eine schöne Sprache!). Nun, diese junge Frau verbrachte angenehme drei Stunden, nämlich den ganzen Weg von Haikou nach Sanya mit meinem iPod und Erzählungen über ihren Freund, der in Sanya auf sie wartete, und was sie nicht und überhaupt und sowieso…
Kurz vor der Ankunft in Sanya beendete jedoch der Akku diese… diese… diese Phonophilie und sie fragte mich, in welchem Hotel ich denn untergebracht sei. Ich erklärte ihr, dass es da noch kein fixes Hotel gäbe, ich aber plane, mich in diesem und jenem niederzulassen; es sei mir egal wo, Hauptsache, der Preis übersteigt die 80 RMB pro Tag (8 EUR) nicht. Na, da lässt sich sicherlich was machen, meinte sie und erklärte mir, dass sie auch nur in einem Hotel wohnen würde (mit meinem Freund, der nicht doch das und sogar das und überhaupt…), weil sie hier ein Training mit der Belegschaft von – das hab ich dann nicht verstanden, weil der Bus in just diesem Moment hupen musste – durchführen muss (… was auch immer?!??).
Sie telefonierte herum und nach ein paar Minuten erklärte sie mir, dass sie ein Zimmer für mich in ihrem Hotel organisiert hätte um eben jene 80 RMB pro Tag, wenn es mir nicht gefallen sollte, wäre das auch kein Problem, dann könnte ich ja in mein ursprünglich geplantes Hotel fahren, denn einerseits – und hier die Erklärung: das Hotel liegt nicht dort, wo dein – wir waren mittlerweile per Du, wobei das hier lediglich eine interpretatorische Feststellung meinerseits ist – Hotel liegt, das ist eine andere Gegend und vielleicht gefällt dir sowas ja nicht, aber probieren kannst du es jedenfalls. Warum nicht? Und ausgestiegen, ihr gefolgt.
Wir gingen etwa zehn Minuten zu Fuß – es ist gleich da vorn! – und standen dann vor einem 4 Sterne Hotel mitten in einem Villenviertel als sie meinte, dass es dieses hier sei, ob ich gleich weitergehen wolle oder ob ich vielleicht doch einen Blick da hineinwerfen… Ja? Gut, dann lass uns gehen!
Das Hotel war eine Ansammlung an Luxus wie er mir gerade einmal aus Hotels in Shanghai bekannt war, deren so klingende wie kitschige Namen denen von Stränden und Städten im pazifischen Raum ähneln. Jedenfalls, der langen Rede kurzer Sinn: Ich lebte fortan in einem Zimmer, das etwa 100 EUR pro Tag kostete, um 80 RMB. Den Pool am Dach konnte ich benützen wie und wann es mir beliebte („Es ist besonders schön bei Mondschein über der Stadt zu schwimmen!“), sie hatte mir Freigetränke an der Bar verschafft und Gratisessen in den sieben hoteleigenen Restaurants. Wer war diese Frau und warum tat sie das und wo war der Haken? Und als ich sie danach fragte, kam eine äußerst interessante Antwort:
Du warst zu einer total Fremden freundlich, hast ihr deinen wertvollen mp3-Player geborgt ohne skeptisch zu schauen und ihr sogar die Liedtexte fast drei Stunden hindurch erklärt. Du hast deine Zeit für sie geopfert, also lass sie dir dafür etwas zurückgeben. Ich bin Assistant Manager dieses Hotels. Wenn es dir an irgendwas fehlt, ruf mich an!
Und sie ging. Wir trafen uns am nächsten Tag zum Frühstück und sie begleitete mich am Abend noch zu einem der Strände, der weniger gut erreichbar war. Am Tag der Abreise stand sie ebenso um fünf Uhr morgens auf, verabschiedete sich von mir, wünschte mir einen guten Flug, hoffte, dass ich bald wieder nach Sanya kommen würde und blieb solange winkend auf der Straße stehen, bis ich sie aus dem Taxi heraus nicht mehr sehen konnte.