Ein Tag in American Samoa

Für einige wurde am 14. September 2007 wahr, was wir schon gar nicht mehr für möglich gehalten haben: Unserem fleißigen Reiseleiter ist es gelungen, ein Flugzeug (der Inter Island Airways in Samoa) zu chartern, das uns von Samoa nach American Samoa bringen würde; ein Flug von einer knappen Stunde. In Samoa sollten wir ein Seminar besuchen, einen kurzen Sightseeing-Trip mitmachen und anschließend wieder zurückfliegen. So war es auch. Zumindest so ähnlich.

Wir verließen das Hotel pünktlich und erreichten den Flughafen ebenso pünktlich. An der Gepäcksaufgabe war schon der Inter Island Airways-Flug nach American Samoa ausgeschrieben, ansonsten war am Flughafen gar nichts los. Die Geschäfte hatten ihre Rolläden noch geschlossen, der Beamte, der die Pässe kontrollierte, war noch ziemlich verschlafen und der Duty Free-Bereich, der an sich schon sehr klein war, war größtenteils ebenso noch geschlossen. Plötzlich, eine Durchsage für uns, die Passagiere des Flugs mit der Nummer Irgendwas. Über die Lautsprecher der gesamten Flughafens wurde uns vorgelesen und erklärt, wie man eine Schwimmweste anlegt, wo sich die Notausgänge befinden, welche Sicherheitseinrichtungen das Flugzeug besitzt und wie unser Pilot heißt. Ein Vertrauen erweckender Beginn eines noch langen Tages!

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Als die zwei Beamten erschienen, die unsere hangeschriebenen Boardingpässe kontrollierten, die Türen zum Flugfeld geöffnet und wir zu einem noch kleineren als dem befürchteten Flugzeug geführt wurden, das da parkte, wurde schnell klar, dass jeglicher Fall von Problem in dieser Büchse sehr schnell sehr ernst werden würde. Hinein also, Kopf an der Decke angeschlagen (man konnte nämlich nur stark gebückt seinen Sitzplatz erreichen!), hingesetzt und gewartet.

Das Flugzeug rollte los und die tiefe Sitzposition tat ihres dazu bei, dass ich ständig ans Autofahren denken musste. Viel höher als in einer A-Klasse saß man hier nämlich nicht. Die Kiste erhob sich in die Luft und gewann an Höhe. Im Gegensatz zu meiner ursprünglichen Vermutung, dass die niedrige Startgeschwindigkeit und die Propeller an sich die Maschine wesentlich unruhiger machen würden, war die Maschine völlig ruhig, solange wir nicht durch Wolken flogen. Gemütlich, nicht fürchterlich, war der Beginn. Gemütlich bis zu dem Moment, als es im Passagierraum unruhig wurde. Ich erhob meinen Blick aus einem idiotischen Airline-Magazin und wusste sofort, was los war: In der Kabine war Rauch! Was tun?!? Hier hinten war alles sehr nervös, der Pilot flog aber seelenruhig weiter als ob nichts wäre. Er musste doch den Rauch sehen oder zumindest riechen! Gar nichts! Die Gesichtsausdrücke der Passagiere waren zwischen Horror und verkrampftem Lächeln angesiedelt, doch Mucksen tat keiner. Der Pilot flog ruhig weiter. Aus der Belüftung kam Rauch? Oder war’s irgendeine Form von Kondenswasser? Nebel? Angesaugte Wolken? Keine Ahnung. Die Feuchtigkeit im Flugzeug machte mir sowieso genug zu schaffen, also lehnte ich mich zurück und hoffte, dass mich die herunterfallenden Sauerstoffmasken schon irgendwie aufwecken würden und wenn nicht, dann zumindest das Gekreische meiner Sitznachbarn.

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Wir landeten in Pago Pago (das spricht man aus, als ob ein N vor den Gs wäre!) in American Samoa. Toll, die Sache mit dem Rauch war also nicht so bedrohlich gewesen und Husten musste ich auch nicht. Da nahe beim Ausgang stand ich auf, schlug mir den Kopf wieder an und kroch aus dem Flugzeug. Hinter, neben, unter und über mir quoll der Rauch aus der Kabine, doch der asphaltierte Boden ließ mich dieses Problem vorerst vergessen. Ich war nun hier, in Pago Pago, in American Samoa, einem Land, das Teil von Amerikanisch-Ozeanien ist und somit ein US-amerikanisches Außengebiet. Was wußte ich über American Samoa? Gar nichts, außer dass American Samoa der Rekordhalter der höchsten Niederlage in der internationalen Fußball-Geschichte ist: Am 11. April 2001 verlor man im Rahmen der Qualifikation zur Fußballweltmeisterschaft 2002 in Coffs Harbour gegen Australien mit 0:31. Amerika, also, zumindest auf die eine oder andere Art.

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Wir wurden von Taxis in ein Parlamentsgebäude geführt und der starke Kontrast zu Samoa (dem ehemaligen „Western Samoa“) wurde schnell klar: Hier war man in einem Außenbezirk der USA und nicht in einem eigenständigen Staat. Alle fuhren mit großen Autos, McDonald’s, Burger King, KFC und Pizza Hut waren vor Ort, es gab kaum Gehsteige, dafür breite Straßen und die Motoren liefen weiter, auch wenn die Autos geparkt waren.

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Unsere Fahrer brachten uns zu einem ausgelagerten Parlamentsgebäude, wo ein Seminar stattfinden sollte. Wir wurden in einen Raum für Audienzen gebeten und sogleich fielen die drei Kübel von KFC auf. Später würden wir erfahren, dass die für uns vorbereiteten Snack ein Stück KFC-Hendl und Kaffee nach Belieben war. Auf meine Frage hin, ob es denn auch ganz normales Wasser gäbe, sah mich die Sekretärin/Assistentin/Wasauchimmer ganz verdutzt an und wusste zuerst gar nicht, wie sie reagieren sollte, brachte dann aber doch ein paar Plastik- oder Styroporbecher, die mit Wasser angefüllt waren.

Nach der Rede des Vortragenden fuhren wir mit den Taxis auf einen Hügel, von dem man aus die schönste Aussicht über die weitläufigen Buchten von American Samoa haben sollte. Unser Reiseleiter hatte sich erkundigt, wie man dahin kommen würde und instruierte die Taxifahrer, wohin sie genau fahren und wo sie haltmachen sollten. Nach mehrmaligem Verfahren klappte es dann auch. Wir waren mitten im Nirgendwo und marschierten los. Ganz vorne er, der Reiseleiter, mindestens einen halben Kilometer weiter hinten die Nachzügler, die aus gesundheitlichen oder konditionellen Gründen nicht im vorgegebenen Tempo mithalten konnten. Auf sie wurde aufgrund der begrenzten Zeit nicht Rücksicht genommen und ein kleiner Trupp von knapp zehn Leuten setzte sich vom Rest der Gruppe ab. Wir wollten uns den Blick nicht nehmen lassen, vor allem ich nicht, da ich bislang noch kaum Fotos von American Samoa gemacht hatte. Noch dreißig Minuten würden es noch zum Gipfel sein, noch dreißig Minuten.

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Eine gute Stunde später keuchte plötzlich einer der Taxifahrer hinter mir. Er war vom Abstellplatz bis hierher nachgelaufen. Offiziell, damit er uns den Weg zeigen konnte, inoffiziell, weil er Sorge hatte, dass wir, ohne die Rechnung fürs Taxi zu bezahlen, auf der anderen Seite des Berges hinuntergehen würden. Da der Gipfel des Berges (oder der Aussichtspunkt) noch immer nicht zu sehen war, fragten wir ihn, wie lange es denn noch zu eben dem besagten Aussichtspunkt sei und die Antwort konnte positiver nicht ausfallen: Es wären nur noch wenige Kurven, die man gehen müsse, dann würde man den ersehnten Ort finden. Wir gingen motiviert weiter.

Wieder eine halbe Stunde später platzte unserem Reiseleiter der Kragen: Er fragte den Taxifahrer mehrmals hintereinander, wie lange man noch gehen würde oder wie weit der Aussichtspunkt noch sein würde und dieser gab drei Antworten: noch zwei Kurven, 15 Minuten, eineinhalb Stunden. Ober denn schon jemals dagewesen wäre? Natürlich, vor drei oder vier Jahren! Gab es da schon die Straße, auf der wir uns befinden? Nein, er war ja auch nicht auf diesem Berg, sondern auf einem anderen! Also noch nie hier? Nein! Das Gespräch nahm absurde Formen und Themen an und wir beschlossen nur noch fünfzehn Minuten weiterzugehen und dann, egal wie weit wir kommen würden, umzudrehen, da das Flugzeug pünktlich abfliegen würde. Nicht der Flug zurück nach Samoa war das Problem, sondern der Flug zur nächsten Station, nach Fiji, denn diesen gibt es nur ein Mal pro Woche!

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Irgendwann war es vorbei, die Zeit war abgelaufen. Wir hielten an, schossen ein paar „Siegerfotos“, um den Unmut zumindest in ein irgendwo gemachtes Foto umzuwandeln und kehrten um. Erst am Rückweg fiel mir auf, dass wir diese Bergtour nicht geplant hatten, dass sie sinnlos war, da nicht gut organisiert und dass wir alle aufgrund des Besuchs im Parlament gut gekleidet waren. Man muss sich das in etwa so vorstellen: Eine gut angezogene Gruppe gepflegter Menschen lässt sich von im Verhältnis noblen Taxis bei Nieselwetter mitten am Kahlenberg aussetzen, um dann dort auf einem von Schlamm durchsetzten Forstweg nach einem Punkt zu suchen, den es vielleicht, vielleicht aber auch nicht gibt. So in etwa kann man diese Situation vergleichen.

Wir kamen später als befürchtet bei den Taxis an. Inzwischen wurde auch klar, dass der Rest der Gruppe die ganze Zeit hier verbracht hatte und ab dem Moment des Abbrechens nicht etwa versucht hat, weiterzumarschieren, sondern sofort kehrtmachte und sich dem Smalltalk am Taxistandplatz hingab. Gut. Die paar Leute, die irgendwo im Nirgendwo waren, von leichten Regengüssen und der Feuchtigkeit des tropischen Waldes gezeichnet, von der Müdigkeit durch den Auf- und Abstieg zermürbt und von der Enttäuschung der Sinnlosigkeit der Unternehmung geprägt, stanken. Nach faulen Gewässern, Schlamm und Matsch, sowie dem Schweiß, der getrocknet und durch frischen wieder nass wurde. Dann wieder getrocknet, dann wieder nass.

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Unser Reiseleiter instruierte die Taxifahrer schnurstracks zum Flughafen zu fahren. Würden sie rasch fahren und keinerlei Probleme haben, wären wir 15 Minuten nach der geplanten Abflugzeit ankommen, was noch in Ordnung wäre, da wir als einzige Passagiere, dieses Recht haben. Wir kamen rechtzeitig an (das Wort „irgendwie“ schwebt vor meinen Augen), wir flogen mir Rauch im Passagierraum zurück, landeten, fuhren zurück ins Hotel und machten uns für den nächsten Flug an diesem Abend fertig: In weniger als drei Stunden würden wir Samoa verlassen und nach Fiji fliegen. Eine Kollegin hatte im Hotelzimmer des Blue Pacific Hotel eine Ratte gesichtet. Es war Zeit zu gehen.