Hilfe, die Welt will was von uns

Konflikte und Kritik sind nichts Schlechtes, sondern notwendiges Lebensmaterial, um zu reifen.

Meredith Haaf charakterisiert die 20-29-Jährigen wenig schmeichelhaft als (1) geschwätzig ohne Inhalte, (2) unfähig, Kritik zu üben, (3) voller Zukunftsängste, (4) ohne Subkultur, (5) die Konfrontation fürchtend, (6) sich für nichts zu schade, (7) in ihr gestörtes Körperbild verliebt und (8) unpolitisch.

Sieht man sich den Text etwas näher an, dann ist leicht festzustellen, dass sie die „Geschwätzigkeit ohne Inhalte“ aus einer Werbung (!) und den Posts auf Twitter, den Bildern auf Flickr und den Statusmeldungen auf Facebook ableitet. Sicher, das ist Geschwätzigkeit ohne Inhalte, aber die Zielgruppe passt nicht so ganz, oder?

Im Punkt „Unfähigkeit, Kritik zu üben“ stimme ich Haaf zu. Der Teil über die Unmöglichkeit des Kritikübens auf Facebook ist völlig irrelevant, da Facebook inhaltlich völlig irrelevant ist. Was allerdings ihr Beispiel der inhaltlich qualifizierten Kritik an einem argumentativ begründeten Statement angeht (Kinderarbeit, Wirtschaftsethik), so hat sie meine volle Zustimmung. Ich selbst bin immer wieder damit konfrontiert, dass Kritik nicht und nicht geübt wird, obwohl sie am Platz wäre. Ich frage mich selbst gerne, warum.

Angst als Motor für die Zukunft? Damit kann ich nicht viel anfangen, wenngleich ich Haafs Auflistung – Arbeitslosigkeit, Klimawandel und Energiekrise – zustimme. Ebensowenig kann ich dem Fehlen einer Subkultur nicht zustimmen, denn die Form des Ausdrucks ist das, was sie als Geschwätzigkeit kritisiert, wenngleich es selbst mir schwer fällt, aus 140-Zeichen-Tweets Kritik an der Massenkultur auszulesen. Vielleicht sind es nicht nur Hipster und Emos, sondern auch Blogger, Nerds und andere, zu sehr in ihrem Tun affine Individuen, die als von den üblichen Ansatzpunkten der Kritik losgelöst selbst wiederum eine Kategorie der Kritik bilden.

Die Furcht vor der Konfrontation und vor Opposition. Oh, Meredith, dein Wort in aller Ohren! Jedes einzelne Wort dieses Absatzes unterschreibe ich sofort. Vor allem die ganz allgemeine Wahrnehmung der Opposition als schlechte und Opportunismus als wohl gemeinte, einem größeren Ziel dienende Eigenschaft, wenn es doch genau andersrum ist!

Wie soll jemand, der glaubt, Konflikt sei etwas Schlechtes, in irgendeiner Form in den gesellschaftlichen Diskurs eingreifen […]? Haltung begegnet man immer wieder. Ihr liegt ein tiefes Misstrauen gegenüber der Opposition an sich zugrunde. Den Begriff »Opportunist«, das härteste Schimpfwort meiner Eltern, benutzt heute niemand mehr.

Die Überschrift „Wir sind uns nicht zu schade“ ist schlecht gewählt. Liest man den zugehörigen Absatz, wird schnell klar, dass es hier um Abhängigkeit und eine daraus resultierende Abwärtsspirale geht: „Verantwortung übernehmen“ ist das Motto, das niemand befolgen kann, weil die finanzielle Abhängigkeit von Eltern und Unternehmen zu groß ist. Diese Abhängigkeit ist nicht als das Arbeitsverhältnis definiert, welches zumindest im Fall der Unternehmen berechtigt wäre, sondern der Aufrechterhalt der eigenen Würde, die sich selbst von den Zuwendungen abhängig macht und dabei das Potential der Uneigenständigkeit negiert.

Gestörtes Körperbild? Jawohl, 100% Zustimmung zu Essstörung und Pornoästhetik. Unpolitisches Denken? Ich weiß nicht. Das klingt mir dann doch etwas zu schreierisch. Sicherlich, politische Argumente – und um die geht es hier – sind mit Konfrontation, Opposition, Kritik und der Zukunftsangst verbunden und unter Berücksichtigung des vorher Gesagten gefährlich. Ich glaube aber, dass das nicht-politische Denken nicht Resultat dieser einzelnen Argumente ist, sondern das Unwissen um die Wirkmacht des Begriffs Politik.

Leseempfehlung!