Vor etwas mehr als einem Jahr

Vor etwas mehr als einem Jahr habe ich W das letzte Mal gesehen. Wir wollten uns, wie immer, wieder treffen, ein SMS hat das Treffen verschoben, ein anderes die Verschiebung verschoben und jetzt ist es ein Jahr später. Morgen werde ich W wiedersehen. Zum Kaffee, wie immer.

Ich habe mich oft gefragt, wieso W sich nicht bei mir meldet oder wieso ich mich nicht bei W melde, aber da kam nichts, kein Impuls, der mich dazu hinführen würde, das zu tun. Bei W offenbar auch nicht.

Haben wir uns so dermaßen voneinander entfernt, so dermaßen auseinandergelebt, dass es mittlerweile nichts zu sagen gibt? Ich weiß nicht, was bei W geschehen ist und wie sich ihre Lebensumstände verändert haben, ich kann aber von mir behaupten, dass ich mit dem Typen von vor einem Jahr kaum mehr etwas gemein habe, außer meine Liebe zum Kaffee.

Wir sind älter geworden und haben das auch zu spüren bekommen. Die Umstände haben sich verfestigt, die Türen zu Möglichkeiten geschlossen und schön langsam schleicht sich in uns der Gedanke hoch, dass es das, was wir tun, zu verteidigen gilt. Das, was wir tun, ist, ja muss gut sein! Die Fortsetzung schweigen wir gerne weg: …denn was sollen wir sonst tun?

W ist wieder da und ich werde morgen mit W das Radlager aufsuchen, W dort den Espresso kosten lassen und Zustimmung zur ausgezeichneten Qualität des Kaffees ernten. Ich freue mich schon darauf. Ich freue mich aber auch schon auf einen ganz anderen Aspekt des morgigen Treffens: Eine Person, die mich gut kennt, wird mir gegenübersitzen und mir aufzählen können, was sich an mir verändert hat. Wird W den Charakter oder neue Eigenschaften nennen? Ich weiß das nicht, W weiß das nicht – morgen wird sich die Frage klären.

Vor etwas mehr als einem Jahr brach der Kontakt ab. Nun stellen wir ihn wieder her.