Browser- statt Desktop Apps

Matt Birchler stellt fest, dass viele seiner Arbeitskollegen Apps im Browser nativen Apps vorziehen bzw. nicht einmal mehr in Betracht ziehen, sie zu installieren.

Literally no one else I’ve talked to uses a native email app on their work computer. Windows or Mac user, it doesn’t matter, email happens in Chrome […] And it’s not just email, almost everything we do has a native app, everyone just uses the browser. Document management happens in Google Docs, which could be installed as a PWA, but no one does. Project management happens in a mix of Jira, Monday, and a few other apps, but we all use the browser for these. […] Love it or hate it, the web is not some fallback solution for a lot of people, it’s the default.

Desktop apps ain’t what they used to be

Er sieht das Problem bei Electron- bzw. bei mit kleinen Bugs ausgelieferten, nativen Apps. (Ein aktueller Anlassfall ist 1Password in der Version 8, das als Electron- und nicht mehr als native App ausgeliefert werden soll.) Ich glaube nicht, dass das der Grund ist. Vielmehr glaube ich, dass ganz banale Gründe dazu führen:

  1. Wahrnehmung von Ladezeit: Google Docs lädt auf meinem Mac im Browser in knapp 2 Sekunden, ich kann sofort zu schreiben beginnen und muss mich nicht um Versionierung, Speicherung oder Zusammenarbeit kümmern. Microsoft Word benötigt, bis ich es tatsächlich benutzen kann, 9 (!) Sekunden, um den „Willkommen-Dialog“ zu laden, dann noch einmal 3 (!) Sekunden, um die Oberfläche soweit zu haben, dass ich schreiben kann. Und das auf einem 4,2 GHz Quad-Core Intel Core i7-iMac mit SSD-Platte und 32 GB RAM. (Google Sheets: 4 Sekunden bis fertig geladen und benutzbar. Microsoft Excel: 9 Sekunden bis zum Dialog, dann weitere 2 bis fertig geladen und benutzbar.) Selbst BBEdit, die Vorzeige-App unter macOS, benötigt 4 Sekunden, um geladen zu werden.
  2. Speichern und Sichern von Daten: Alle (!) cloudbasierten Applikationen übernehmen die Verwaltung von Speicherung und Sicherung. Wenn ich Google Docs schließe – irrtümlich oder absichtlich -, kann ich mich trotzdem darauf verlassen, dass meine Daten gespeichert sind. In Microsoft Word kann es leicht passieren, dass ich nicht speichere; man bekommt schon seine Routinen, ja, aber man benötigt sie. Bei browserbasierten Apps, benötigt man sie nicht.
  3. Installation und Installationsberechtigung: Menschen haben überhaupt kein Problem damit, bestimmte Applikationen (im Browser) zu nutzen. Geht es allerdings um die Installation dieser Apps, benötigen sie Hilfe oder sind verunsichert; vor allem, seitdem man sowohl unter macOS als auch unter Windows verschiedenen Programmen Berechtigungen erteilen muss. Das verunsichert sehr. Und nicht gerade selten ist es – vor allem auf von Firmen zur Verfügung gestellten Devices – auch gar nicht möglich, selbständig Installationen durchzuführen.
  4. Präsenz im Browser: Ein weiterer Punkt ist in meinen Augen auch, dass wir uns ohnehin die ganze Zeit „im Browser“ bewegen. Die Adressleiste ist eine moderne Version der Kommandozeile geworden und diese Form des UI kommt nicht von irgendwoher. Wer sich mit Facebook und Gmail auskennt, kennt sich meist auch schnell in webbasierten Apps aus. Warum sollten wir also Menschen (unnötig) auf den Desktop zwingen, wenn ihre Lebensrealität online ist? (Und ja, mir ist klar, dass der Punkt 1 in dieser Liste direkt mit dem Punkt 4 verbunden ist. – Der Browser selbst benötigt natürlich auch seine Ladezeit, die zählt aber nicht, denn es geht um die Wahrnehmung von Ladezeit und nicht um technisch messbare Werte.)

Besonders der letzte Punkt ist bezeichnend. Ich kann mir gut vorstellen, dass durchschnittliche Userinnen und User sich im Browser wohler fühlen als in den Systemeinstellungen ihrer Betriebssysteme. Das ist ein nicht zu unterschätzendes, weiteres Argument, das den Browser zum Betriebssystem macht. In meinen Augen hat die Tatsache, dass Browser uns unsere Apps zur Verfügung stellen nur einige wenige Nachteile, aber – aus Sicht eines Users oder einer Userin – sehr viele Vorteile.

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