COVID-19, Tag 261: Schockstarre

Samstag, 28. November 2020, Tag 261 der Corona-Pandemie. Ich habe das Intro noch einmal geändert. Es bringt nun wirklich nichts mehr, von „Maßnahmen zur Eindämmung“ oder gar von „Maßnahmen gegen die Verbreitung“ zu schreiben. Der Zug ist abgefahren.

Die Todesfälle in Österreich sind mittlerweile auf einem Niveau angelangt, das jenseits von Gut und Böse liegt. Erich Neuwirth hat sich im Bussi-Fussi-Coronavideo gefragt, ob „sie’s verstanden haben“, bei mir wandelt sich diese Befürchtung immer mehr zu trauriger Gewissheit.

Wir sehen die Zahlen, wir sehen die Grafik, sind aber nicht mehr in der Lage, sie zu verstehen und daraus den Instinkt, endlich zu handeln, abzuleiten. Es ist eine katastrophale Schockstarre, die wir durch das einzige, was wir gut können, zu überwinden suchen: Ignorieren und totschweigen. Nur halt, dass das im konkreten Fall nichts nützt, wie Stefan Kappacher auf Basis einer Analyse von Leonhard Dobusch treffend kommentiert:

Das Grundproblem von Kurz: Kommunikationshoheit ist ihm alles. Tiefergehende inhaltliche Auseinandersetzung und konkrete Lösung von Problemen ist verglichen damit komplett unwichtig. Im News Cycle zählt nur das Kurzzeitgedächtnis. Ankündigungs- und Symbolpolitik reicht. In dieser Marathon-Krise reiche das aber nicht mehr […]. Und man merkt an der Nervosität des Kanzler-Umfelds in sehr vielen Punkten, dass der Befund richtig ist. [Sein] Marketing [verkommt] zunehmen zum reinsten Blendwerk.

Stefan Kappacher zitiert Leonhard Dobusch

Unter diesem Aspekt erklärt sich vielleicht die erratische Verordnungstätigkeit und das in seiner Gesamtheit merkwürdig erscheinende (Nicht-) Handeln der Regierung. Mir kommt vor, dass sich die „inhaltliche Auseinandersetzung“ auf das Aufrechterhalten von Allianzen in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen einschränkt. Wien gehört zum Beispiel nicht zu so einer Allianz, der Skitourismus schon.

Ischgl-Plakat auf der Mariahilfer Straße in Wien
Ischgl-Plakat auf der Mariahilfer Straße in Wien

Und weil wir gerade dabei sind und mir eine Überleitung in ein schlaues Ende ohnedies nicht mehr gelingen wird: Als ich letztens auf der Mariahilfer Straße unterwegs war, ist mir dieses „Wir tun so als ob nie etwas gewesen wäre“-Plakat zum Ischgl Opening aufgefallen. Ja, geht’s noch? Auch hierzu ein bissiger Kommentar in der Süddeutschen (natürlich von Hrn. Kappacher gefunden), in dem Dominik Prantl mit Österreich hart ins Gericht geht und Österreich Unverantwortlichkeit und die Anbiederung an den Skitourismus vorwirft – wenn auch mit dem Hinweis auf den wirtschaftlichen Schaden, der aus einer potentiellen Schließung der Skigebiete einhergeht.

Aber der Tod ist halt unberechenbar. Also mach ma lieber auf. Die Leute sollen ihren Spaß haben.