COVID-19, Tag 658: Immunsystem „stärken“

Christian Drosten riskiert es, Twitter über Infektion, Impfung und Immunität aufzuklären.

Donnerstag, 30. Dezember, Tag 658 der Corona-Pandemie. Nach längerer Zeit hat sich Christian Drosten wieder mit zwei Tweets gemeldet, in deren Folge er sich erstaunt zeigt, „wieviele Missverständnisse und falsche Vorstellungen über Infektion, Impfung und Immunität bestehen“ und sogleich anbietet, „nicht destruktive, ehrlich gemeinte Einwände“ über Twitter kurz beantworten zu wollen. „Mit etwas mehr wissen könnten sich viele hier ihre Aggressivität sparen und stattdessen für sich selbst bessere Entscheidungen treffen.“ Bummer.

Die Tweets, um die es geht, habe ich hier zusammengefasst. Sie zielen vor allem auf ein falsches, geistiges Bild der Wirkweise und Funktion des Immunsystems ab, das, ich nehme mich da gar nicht aus, von vielen geistig einem Kickboxer gleichgesetzt wird, der den Körper verteidigt und fett, träge und faul wird, wenn man ihn nicht andauernd mit Gegnern konfrontiert, die ihn fit halten, in dem er sie bekämpfen muss. Christian Drosten will mit dieser Vorstellung aufräumen, denn sie verleitet viele zur Aussage, sie hätten ein starkes Immunsystem (= ein gut trainierter Kickboxer), das mit dem Virus locker fertig wird. In Wahrheit gilt aber:

Wer glaubt, durch eine Infektion sein Immunsystem zu trainieren, muss konsequenterweise auch glauben, durch ein Steak seine Verdauung zu trainieren. […] Immunreaktion vs. „starkes Immunsystem“ ist wie Lernen vs. Intelligenz. Ich kann ein Gedicht auswendig lernen, bin dadurch aber nicht intelligenter geworden. Ich kann eine Infektion überstehen, habe dadurch aber nicht „mein Immunsystem gestärkt“.

@c_drosten

Die beiden Tweets wurden erst gestern veröffentlicht, doch die Anzahl der Replies und Mentions ist bereits so groß, dass man sich jetzt schon, keine 24 Stunden später, durch Lektüre der Kommentare ein gutes Bild davon machen kann, mit welchen Vorstellungen über das Immunsystem man (als Top-Virologe) konfrontiert ist und welche Denkrichtungen diese Vorstellungen bedingen. Was Christian Drosten mit „nicht destruktive, ehrlich gemeinte Einwände“ angesprochen hat, wird angesichts verschiedener Meldungen in dem Twitter-Thread, die man eigentlich nur noch als Beschimpfung verstehen kann, auch ganz besonders klar. Ich überlasse es allen Leserinnen und Lesern, sich nun selbst ein Bild von den Abgründen zu machen, mit denen man im Jahr 2021 konfrontiert ist.

Wer allerdings sein Bild vom Immunsystem einer Spurkorrektur unterziehen möchte und nicht in Abwehrhaltung am Irrglauben festhalten will, den möchte ich auf ein Buch verweisen, das Wolfgang Ritschl letzte Woche im immer hörenswerten Ö1 Kontext präsentiert hat: „Immun – Alles über das faszinierende System, das uns am Leben hält“ von Philipp Dettmer, den man vielleicht aus der YouTube-Reihe „Kurzgesagt“ kennt (die sich, nur nebenbei, in einer ganzen Videoserie zum Thema Immunsystem widmet). Allein der Ö1 Kontext-Beitrag, den man noch als Podcast hören kann, gibt schon einen guten Eindruck davon, wie komplex das Thema und wie wenig passend die Vorstellung des Kickboxers oder die des „Stärkens“ eigentlich ist.

Das alles ist nicht mein Thema, meine Spezialisierung oder Teil dessen, was ich als mein Interesse nennen würde. Insofern maße ich mir auch nicht an, hier irgendwelche Aussagen zu treffen, in denen ich über die „Stärkung des Immunsystems“ spreche. Das sollen diejenigen tun, die sich damit ein Leben lang beschäftigt und von anderen, die sich damit ein noch längeres Leben lang beschäftigt haben, geschult und geprüft wurden. (Jedenfalls aber nicht diejenigen, die sich das Wissen am Stuhl der Erkenntnis erarbeitet haben.) Was ich aber tun kann, ist, auf die Konfrontationen hinzuweisen, mit denen sich jemand, der sich schulen und prüfen hat lassen und vorsichtige, immer wieder durch den Pandemieverlauf bedingt nachkorrigierte Aussagen trifft, konfrontiert sieht. Das kann man eben in dem oben verlinkten Twitter-Thread, den Christian Drosten gestartet hat, miterleben. Dort kann man sich in die verschiedenen Zeitleisten und Profilen der unterschiedlichen Personen einlesen (wenn man das will), um auch ihr Weltbild für einen selbst nachvollziehbar zu machen, sofern einem das gelingt. Mir persönlich fällt es sehr schwer, da es in vielen Argumentationen Lücken in der Beweisführung gibt oder konstruierte Kausalitäten als Selbstverständlichkeiten dargestellt werden (Quantenphysik, anyone?).

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