Datenschutz und Privatsphäre

Wer sich gegenüber Personen, die willkürliche Identitätsüberprüfungen, die praktisch flächendeckende Installation von Überwachungskameras, das Anlegen von Datenbanken und ihre Auswertung durch Data Mining und andere groß angelegte Maßnahmen zur Überwachung gutheißen, für Datenschutz und für den Schutz der Privatsphäre einsetzt, bekommt auf seine Kritik an übertriebener Überwachung häufig den Satz zu hören: „Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten!“

Neben sehr ausführlichen Statements zu dieser Formel, gibt es darauf auch einige clevere und markige Antworten, die die Aussage zwar rhetorisch, nicht jedoch in der Sache selbst umkehren: Datenschutz wird in ihnen lediglich als dem Verbergen von Verbotenem dienlich angesehen. Dazu dient er aber absolut nicht. Datenschutz und die Achtung der Privatsphäre sind nicht nur grundlegende Rechte, sie sind auch Notwendigkeiten, um einem Menschen mit Würde und Respekt begegnen zu können.

Zwei Sprichwörter beschreiben das Problem äußerst gut: Quis autem custodiat ipsos custodes? („Aber wer bewacht die Wächter?“) empört sich der Satiriker Juvenal über den Sittenverfall unter den römischen Frauen, die sogar die von ihren Männern bestellten Wächter verführten. Power tends to corrupt, and absolute power corrupts absolutely („Macht korrumpiert, absolute Macht korrumpiert absolut“) stellte John Emerich Edward Dalberg-Acton fest (Lord Actons Dictum).

Auch Kardinal Richelieu hat bewiesen, dass er den eigentlichen Wert von Überwachung verstanden hat: „Man gebe mir sechs Zeilen, geschrieben von dem redlichsten Menschen, und ich werde darin etwas finden, um ihn aufhängen zu lassen.“ Beobachtet man jemanden lange genug, wird man etwas finden, um ihn festnehmen – oder zumindest erpressen – zu können. Datenschutz und Privatsphäre sind wichtige Konzepte, ohne die beiden sind dem Missbrauch durch Überwachung keine Grenzen gesetzt: Vom „Beobachten“ über das „Sammeln von Daten für Marketingzwecke“ bis hin zum Ausspionieren politischer Gegner sind die Grenzen fließend.

Der Datenschutz schützt uns vor der missbräuchlichen Verwendung von Aufzeichnungunen über unser Leben durch diejenigen, die an den Hebeln der Macht sitzen, vor allem und selbst, wenn wir während der Aufzeichnung gar nichts Verbotenes tun.

Wir tun nichts Verbotenes, wenn wir Sex haben oder das Bad aufsuchen. Wir verstecken uns nicht absichtlich, wenn wir ruhige und abgeschiedene Plätze für ein gutes Gespräch suchen. Wir haben geheime Tagebücher, singen in der intimen Umgebung unseres eigenen Badezimmers, schreiben Briefe an Liebhaber außerhalb unserer Beziehungen und verbrennen die Briefe nachher wieder. Unsere Privatsphäre ist ebenso ein uns innewohnendes Konzept wie auch ein grundlegendes menschliches Bedürfnis.

Eine Zukunft, in der der Respekt vor der Privatsphäre andauernden Herausforderungen ausgesetzt ist, war selbst den Autoren der US-amerikanischen Verfassung so fremd, dass sie die Privatsphäre gar nicht erst als explizites Recht zu formulieren gedachten. Die Privatsphäre eines Menschen war ihrem damaligen Verständnis des menschlichen Lebens ganz natürlich innewohnend. Im eigenen Haushalt überwacht zu werden, stünde für sie jenseits jeglicher Vorstellung und Logik. Allein das Anstarren ziemte sich unter Gentlemen nicht. Anstarren und Beobachten konnte man Verbrecher, nicht jedoch freie Bürger. Man selbst war ganz selbstverständlich Herr über sein eigenes Haus. Dieses Prinzip war der Idee der Freiheit immanent.

Wenn wir unter andauernder Beobachtung stehen, befinden wir uns in einem Dauerzustand potentieller Kritik, eventueller Korrektur und direkter wie indirekter Bewertung. Wir verlieren unsere Individualität und unser Selbst, wir werden in unserem Verhalten zu Kindern, die – geknebelt durch ständige Überwachung – in der andauernden Sorge um mögliche Handlungen einer uns überstellten Einheit (Regierung, Polizei, Militär, etc.) leben. Diese Einheit kann sich jederzeit aus einer Fülle von Daten unserer Verhaltensweisen und unserer Spuren, unserer sozialen Vernetzung, unserer Vorlieben, Bekanntschaften und Gewohnheiten bedienen, die uns jetzt oder in Zukunft zum Nachteil erwachsen können. Wir verlieren unsere Individualität, weil alles, was wir tun, beobachtet und aufgezeichnet werden kann.

Wie viele von uns haben sich während eines Gesprächs aus einem vermeintlich unbewussten Grund schon unwohl gefühlt? Während eines Telefonats, aufgrund des Inhalts einer E-Mail oder eines SMS, vielleicht sogar aufgrund eines Gesprächsthemas an sich? Vielleicht ging es um Nationalsozialismus, Terrorismus, Politik oder Religion im Allgemeinen, um von der Norm abweichende Meinungen, um besondere Vorlieben, um Scientology oder um den Islam? Wir alle kennen das Unbehagen, wenn wir inmitten eines Satzes kurz innehalten und weitersprechen, nachdem wir über unsere eigene Paranoia gelacht haben. Uns ist allen bewusst, dass dieses Innehalten bereits ein Indikator für unser verändertes Verhalten ist. Wir sprechen zwar weiter, die Wortwahl hat sich aber subtil der bewusstgewordenen Situation angepasst.

Das ist der Verlust von Freiheit, dem wir ausgesetzt sind, wenn uns unsere Privatsphäre genommen wird. Das war das Leben in der DDR, das Leben im Irak unter Saddam Hussein. Und es wird unsere Zukunft sein, wenn wir weiterhin allen, die danach verlangen, blauäugig Einsicht in unser privates Leben gewähren.

Zu oft wird die Debatte um den Datenschutz als dem Thema Sicherheit entgegengesetzt dargestellt. Um diesen Gegensatz geht es nicht, es geht um das Gegensatzpaar Freiheit und Kontrolle. Die Tyrannei, ob sie durch einen Feind ausgeübt wird oder durch Kräfte im eigenen Land, bleibt Tyrannei. Freiheit erfordert Sicherheit ohne Einmischung, anders gesagt: Sicherheit und Privatsphäre, nicht Sicherheit auf Kosten der Privatsphäre. Weitläufige Maßnahmen zur Überwachung und Kontrolle über die Gesellschaft durch Verwaltung, Polizei und Sicherheitskräfte definieren einen Polizeistaat, egal, welche Staatsform er offiziell trägt. Und das ist der Grund, warum wir den Respekt vor Datenschutz und Privatsphäre hochhalten müssen. Selbst, wenn wir gar nichts zu verbergen haben.


Dieser Text ist eine Übersetzung, Überarbeitung und Erweiterung des Artikels „The Eternal Value of Privacy“ von Bruce Schneier, der am 18. Mai 2006 im Wired Magazine erschienen ist. Ich habe ihn aus Anlass einer Aussage von Eric Schmidt, dem CEO der Firma Google und Berater von Barack Obama in Technologiefragen, verfasst, der in einem Interview zum Thema Datenschutz gemeint hat:

I think judgment matters. If you have something that you don’t want anyone to know, maybe you shouldn’t be doing it in the first place. If you really need that kind of privacy, the reality is that search engines – including Google – do retain this information for some time and it’s important, for example, that we are all subject in the United States to the Patriot Act and it is possible that all that information could be made available to the authorities.

Und hierbei geht es um Google, eine Suchmaschine, der man nur bei Verwendung von Gmail oder Orkut seine soziale Vernetzung und sein Privatleben direkt und offen mitteilt. Was aber ist mit Facebook und anderen sozialen Netzwerken, deren eigentlicher Sinn und Zweck ausschließlich darin liegt, private und sogar intime Nachrichten entgegenzunehmen und in vermeintlich sicheren Sphären veröffentlichen zu können?! Ist das wirklich noch eine freiwillige und eigenständige Entscheidung? Ist das Freiheit?