Als ich im Rahmen meines Thailandaufenthalts nach Kanchanaburi kam, war ein Besuch des Wat Pa Luangta Bua, dem Tempel in dem Touristen Tiger im Freigehege besichtigen können, für mich von Beginn an keine Option. Ich wollte die Stadt und die Brücke am Kwai fotografieren, die Tempelanlage zu besuchen fand ich nur wenig verlockend: Dass wilde Tiger allein durch die Präsenz von Mönchen und durch spirituelle Kraft zahm werden, schien mir doch zweifelhaft. Dennoch kam ich nicht aus, einem festgezurrten Wildtier zu begegnen und daraufhin von einem Touristen gemaßregelt zu werden.
Auf einem Marktstand am Weg zur Brücke am Kwai wird ein Safaripark in der Umgebung der Stadt beworben. Um das Entzücken und die Vorfreude zu steigern, kann man – gegen eine Spende von 100 Baht – mit einem auf einem Tisch präsentierten Leopardenjungen (siehe Foto) oder einem Tigerbaby posieren und sich dabei fotografieren lassen. Ich selbst wäre an diesem Marktstand vorbeigegangen, meine Reisebegleitung M jedoch wollte ein Foto mit beiden Tieren haben und bezahlte die 100 Baht.
Nachdem ich einige Fotos von M und den Tieren geschossen hatte, kam ein englischsprachiger Tourist auf mich zu und fühlte sich bemüßigt, mich über die inhumane Haltungsweise dieses Leoparden und über mein diese Haltung förderndes Tun aufzuklären. Ich widersprach ihm nicht, ganz im Gegenteil, ich bestätigte seine Wertung über den angeketteten Leoparden als inhuman und widernatürlich und ergänzte seine berechtigten Zweifel um die Erfahrungen, die M im Tiger-Tempel gemacht hat: Auch dort ist es keineswegs so, dass sich die Tiere „frei“ bewegen können, ganz im Gegenteil. Sie sind entweder mit ebenso kurzen Leinen angekettet oder werden von mehreren Mönchen und lokalen Tierwärtern flankiert in ihr Gehege eskortiert. Davon schien der Tourist nur wenig wissen zu wollen und schoss sich auf mich und meine Fotos ein. Der Grundtenor: Ich fördere mit meinen Fotos dieses Tieren gegenüber inhumane Verhalten der Thailänder.
Für gewöhnlich nehme ich Menschen, die sich in moralischen Belangen in mein Tun einmischen und mich bestimmter Werte erinnern, sehr ernst und versuche, ihre Argumente auf das Zusammenspiel mit bereits vorhandenen Grundpfeilern meines Denkens zu überprüfen und damit in Überzeugung zu wandeln oder aus Überzeugung abzulehnen. Zum ersten Mal jedoch konnte ich die Argumente des Touristen in dieser Situation zwar akzeptieren, aber nicht in den Kanon meiner Überzeugung aufnehmen, da mir sein Hintergrund und die Motivation seines Tuns äußerst fraglich erschienen. Würde dieser Mann den Bummelzug über die Brücke am Kwai ebenso kritisieren? Zu McDonald’s oder KFC gehen und dort die Massentierhaltung anprangern? Wohl kaum. Aber hier in Kanchanaburi, weit weg von der eigenen Haustüre, sind die Vorzüge der westlichen Zivilisation besonders moralischer Natur.
Und dennoch.
War es falsch, ein Foto für jemanden zu machen, der mit den Tieren posieren wollte? Hätte ich ablehnen und eine andere Person bitten sollen, die Fotos zu machen? Ist es falsch, solche Situationen fotografisch einzufangen? Hätte ich M vom Foto mit den Tieren abhalten sollen? Soll ich als Fotograf neutral sein und die Wertung der Situation den Betrachtern der Bilder überlassen? Oder soll ich mich aktiv ins Geschehen einmischen und die Situation kritisieren? Letzten Endes repräsentieren wir beide, der Tourist und ich, einen Kulturkreis, der im Umgang mit Tieren von einer entsetzlichen Doppelmoral gezeichnet ist, die das Komik von Pawel Kuszinski so treffend darstellt. Was sollte ich, und damit ist die ethische Frage formuliert, was sollte ich tun?