Jeff Jarvis kritisiert Facebook dann doch wieder nicht

Jeff Jarvis kritisiert die journalistische Berichterstattung über die Datenweitergabe bei Facebook, die es – und das war der mediale Aufhänger – Dritten ermöglicht hat, die privaten Nachrichten von Usern zu lesen, scharf. Er richtet dabei sein Augenmerk auf die Journalisten, die aus diesem Fall ein „Verlasst Facebook!“ abgeleitet haben, und verstrickt sich in einer Argumentation, die aus einem guten Ansatz einen PR-Artikel für soziale Medien macht. Warum „PR-Artikel“? Weil Jarvis meiner Meinung nach, ob bewusst oder nicht, zweifach Kritik mit Schuld vertauscht: zu Gunsten von Social Media (im konkreten Fall: Facebook) und zu Ungunsten von journalistischer Arbeit.

Ja, wir wissen alle, dass es schwer ist, den medienüblichen Sensationalismus bei technischen Themen aufrechtzuerhalten. Jeder erinnert sich noch an die angebliche WhatsApp-Backdoor, die gar keine war. Sowas ist damit gemeint. Was aber Jarvis in seinem Artikel „Facebook. Sigh.“ macht, ist Kriecherei. Man liest und würde sich bei solchen Absätzen am liebsten die Hände waschen:

Facebook and its leaders are often accused of cynicism. I have a different diagnosis. I think they are infected with latent and lazy optimism. I do believe that they believe a connected world is a better world — and I agree with that. But Facebook, like its neighbors in Silicon Valley, harbored too much faith in mankind and — apart from spam — did not anticipate how it would be manipulated and thus did not guard against that and protect the public from it.

Das ist Bullshit in so dermaßen komprimierter Form, dass es fast unerträglich ist. „Too much faith in mankind“? Ernsthaft, Herr Jarvis? Doch es geht weiter im Absatz, es wird noch besser:

I often hear Facebook accused of leaving trolling and disinformation online because it makes money from those pageviews. Nonsense. Shitstorms are bad for business. I think it’s the opposite: Facebook and the other platforms have not calculated the full cost of finding and compensating for manipulation, fraud, and general assholery. And in some fairness to them, we as a society have not yet agreed on what we want the platforms to do, for I often hear people say — in the same breath or paragraph — that Facebook and Twitter and YouTube must clean up their messes … but also that no one trusts them to make these judgments. What’s a platform to do?

Facebook. Sigh., Jeff Jarvis

Zu viel versprochen? Wie kann man denn diesen Absatz anders verstehen als eine Absolution von Facebook? Als eine völlige Verschiebung der Verantwortung auf etwas zwar Benanntes („we“, „society“, „mankind“), aber gleichzeitig so Abstraktes? Wer trägt die Verantwortung, wenn die einzigen, die davon profitieren, sie – laut Jarvis – eben nicht tragen? Und wieso bringt er den Journalismus als Sprecherin für „we“, „society“ und „mankind“ so dermaßen in Schusslinie?

Der Artikel ist lesenswert, denn fast alles, was darin angesprochen wird, hat Gültigkeit; nur der Spin ist ungut und den sollte man beim Lesen vergegenwärtigen. Und bevor mir das jetzt jemand von euch glaubt (ohne die Lese-Erfahrung selbst gemacht zu haben), lest Jarvis‘ Facebook. Sigh. Denn die einzige Möglichkeit, Bullshit zu erkennen, ob nun meinen oder den von Jarvis, ist, so banal es auch klingt, erstklassig informiert zu sein.