Normalisierung des Arbeitens am Wochenende

Immer mehr und immer häufiger wird am Wochenende gearbeitet. Was sich für einige modisch, trendig und einem Lebensstil entsprechend anfühlt, ist in Wirklichkeit eine Abwärtsspirale, die Qualitätsverlust mit sich bringt und in einem unglücklichen Leben voller Sarkasmus endet.
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In dem Interview, das das Wall Street Journal veröffentlicht hat, dreht es sich immer wieder um die gleichen Argumente: Die von Unternehmen vorgegebenen Arbeitszeiten werden immer flexibler und lassen immer mehr Freizeit inmitten der Arbeitszeit zu (zB ein Spaziergang mit dem Hund mitten am Tag oder ein ausgedehntes Mittagessen). Das hat aber den Nachteil, dass Personen auch am Wochenende, das eigentlich zu 100 Prozent arbeitsfrei sein sollte, „Dinge erledigen“. Und auch wenn sie E-Mails schreiben, die mit dem Satz „Du musst das nicht jetzt erledigen, sondern erst am kommenden Montag“ beginnen, gehen die Empfänger:innern der E-Mails dann – zumindest im Geiste – die Tasks durch. So ein Dasein hat dann keine Work-Life-Balance mehr, sondern ist ein kontinuierliches Gemisch aus Arbeit und freier Zeit, ein trübes Wasser, sozusagen, in dem wir nicht mehr nur an Werktagen, sondern immer mehr auch an Wochenenden schwimmen. Ob das gut ist oder nicht, ist eine andere Frage.

In meinen Augen ist es jedenfalls fatal, wenn der Grund für die Arbeit am Wochenende in die Kategorie „die Kundin/der Kunde kann nur am Wochenende, unter der Woche muss sie/er arbeiten“ (!), „endlich habe ich die Zeit das zu machen“ oder „da ist niemand im Büro und ich kann ungestört meiner Arbeit nachgehen“ fällt, denn damit wird die Arbeit durch eine Ausgleichshandlung auf Kosten der Lebenszeit erledigt. Tatsächlich aber offenbart die Notwendigkeit der Arbeit am Wochenende ein dramatisches Versagen in der Organisation und in der Termingestaltung unter der Woche. Blöd nur, dass das von so vielen akzeptiert und in Form einer Art Lebens-Sarkasmus, der in Aussagen wie „nun, ihr wisst ja, wie die da oben sind“ oder „ja, was soll ich tun, wenn die mir die Infos, die ich brauche, erst am Freitagabend zukommen lassen“ usw. enden. Der Sarkasmus daran ist, dass wir, obwohl es uns aufregt und obwohl wir es als Frechheit empfinden, dass wir zur Wochenendarbeit genötigt werden, es trotzdem tun und diese Arbeit am Wochenende auch noch verteidigen. Eine komplette Selbst-Illusionierung tritt dann ein, wenn diese, am Wochenende gearbeiteten Stunden, gar nicht erst in die Stundenliste eingetragen werden, weil… das tut man nicht!

Aber, so wenden selbständig Tätige nun ein, es ist doch meine Entscheidung, dass ich am Wochenende arbeite, und es ist meine Entscheidung, deshalb habe ich mich ja für die Selbständigkeit entschieden! Nun ja, ich will das für Dienstleister:innen im Bereich der Freizeitindustrie gelten lassen, für alle anderen nicht. Es ist in Ordnung, wenn es unter der Woche eine Art „Wochenende“ im Sinne der Erholung gibt. Wenn Samstage und Sonntage Arbeitstage sind, dann sollten zumindest zB Dienstage und Mittwoche frei von Arbeit sein. Niemand, auch wenn man sich das einredet, will eine Leistung schnell geliefert haben, wenn die Zuverlässigkeit drunter leidet oder die Gefahr darin besteht, dass der Auftraggeber den Dienstleister aufgrund von Überarbeitung, Burn Out und was weiß ich was diese Art zu arbeiten sonst noch so an Krankheiten und Symptomen ans Tageslicht bringt, verliert.

Aber noch einmal zurück zu meinem vorigen Punkt: Wer es als angenehm betrachtet, am Wochenende zu arbeiten, weil man da nicht von Kunden oder Kollegen gestört wird oder endlich nicht einer Flut von E-Mails nachrennen muss, der befindet sich bereits in einer Abwärtsspirale. Die Lösung für dieses Problem ist nicht, die eigene Freizeit zu opfern, sondern sich um eine Neuorganisierung der Arbeitszeit, um Maßnahme, die das Arbeiten unter der Woche ermöglichen, zu bemühen. Und ich sage das deswegen so eindringlich, weil ich selbst an dieser Stelle war und ein rigoroses Kalendersystem für mich entworfen habe, das es mir möglich macht, sowohl den Kontakt zu Auftraggebern und Kunden zu bewahren als auch Ruhe für meine Arbeit zu haben. Und ja, es läuft auf soetwas wie „Sprechtage“ hinaus, auf die Umstellung der Standard-Meetingdauer von 60 auf 30 Minuten und einige andere, kleine, aber in Summe hochgradig effektive Maßnahmen.

Es mag sein, dass immer mehr Menschen am Wochenende arbeiten und es mag sein, dass sie das aufgrund flexiblerer Arbeitszeiten unter der Woche tun. Insgesamt ist der Trend aber, davon bin ich überzeugt, für die physische und physische Gesundheit aller Beteiligten schädlich. Es ist ja auch fast schon witzig, die Begründungen anzuhören, die einem Menschen geben, wenn man sie spezifisch auf ihre Arbeit am Wochenende anspricht. Das reicht von „Ach, das macht mir doch nichts“ bishin zu einem „Wir arbeiten doch alle in Wirklichkeit am Wochenende“. Tatsächlich aber sind das wirtschaftliche Verlierer, die sich von ihrem Job – von diesem, spezifischen! – abhängig sehen und die Unerträglichkeit des möglichen Verlusts dieser Arbeitsstelle vor die Qualität und Zuverlässigkeit ihrer Arbeit stellen. Das sagt eigentlich ohnehin schon alles: Wer in einem Job ist, bei dem diese Gefahr herrscht, arbeitet entweder ohnehin prekär oder aber ist in dieser Position auf Goodwill einer anderen Person, die sich nun das Recht herausnimmt, über die Einteilung der Zeit zu bestimmen.

Wir sind alle toll und arbeiten am Wochenende? Ich brauche, glaube ich, hier nicht mehr weiter zu erörtern, dass das abermals nur das Schönreden einer Abwärtsspirale ist. Vielleicht ist das der Grund, warum so viele, die eigene Unternehmen gründen oder selbständig arbeiten, recht bald schon wieder damit aufhören, weil sie ganz schnell feststellen, dass es dann eigentlich kein Privatleben mehr gibt. Sie sind das eine Kapitel, bei dem ich eventuell noch von Verständnis sprechen könnte. Angestellte, die sich in der gleichen Situation befinden, ein ganz anderes! Und fangt mir jetzt nicht mit Arbeiten im Urlaub an, denn das ist ja die nächste Frontlinie, an der gekämpft wird. Es ist fast schon eine Regel, die ich in den letzten Jahren immer und immer wieder bestätigt sehe: Wer aus dem Urlaub antwortet, verlässt eher früher als später den Job. Woran das wohl liegen wird?

Also hört auf damit, konzentriert euch auf die Arbeit unter der Woche, macht sie gut, liefert pünktlich, aber vergesst nicht, dass das, was man Leben nennt, an diesen zwei Tagen, die euch noch bleiben, stattfindet.

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