Wer sich schon einmal mit Südtirolern unterhalten hat, dem ist sicherlich ein etwas eigentümliches Bewußtsein über die Herkunft des Gesprächspartners aufgefallen. Man weiß nicht so recht, ob man es mit einem Italiener, einem Österreicher oder einem Südtiroler an sich zu tun hat; womöglich schwingt von allem ein wenig mit. Bereist man Südtirol selbst, so wird es im persönlichen Eindruck nicht gerade klarer. Einerseits hängt an so manchem Hof die Tiroler Fahne, andererseits kommt in weiteren Gesprächen doch der Wunsch zum Ausdruck, auf die eine oder andere Art und Weise Italiener zu sein.
Die letzte Woche bereiste ich eben dieses Südtirol, und diesmal war es nicht um Ski zu fahren, sondern um sich einer Sommerfrische samt einheimischer Begleitung hinzugeben. Was als Dauerwandern und Naturdenkmälerbesichtigung geplant war, wurde schließlich zur Reise durch die Psyche (und die Psychosen) der Italiener, die sich Südtiroler nennen.
Wien – Neunhäusern
Man findet wesentlich leichter von Wien weg nach Neunhäusern in Südtirol als man denkt: Von Wien aus geht es auf der Südautobahn (A2) in Richtung Villach, kurz davor auf die A10 und von dort immer der E66 (das ist das grün unterlegte Schild auf den Verkehrstafeln) bis nach Neunhäusern. Schon auf der A2 ist die E66 angeschrieben.
Neunhäusern, Bruneck, Olang
Über Neunhäusern zu schreiben zahlt sich eigentlich gar nicht aus. Es ist eine Fraktion, ein Weiler bzw. eine Ansammlung von ein paar Häusern (ob’s neun sind, weiß ich nicht), die zwischen den „Städten“ Olang und Bruneck liegt. Olang ist ein aufgrund des Wintertourismus vom Dorf zur Stadt aufgestiegenes Phänomen, Bruneck als die Hauptstadt der Region beansprucht das Stadtsein schon seit längerem für sich. Dort geht man, wie unsere einheimische Reiseleitung das trefflich formuliert hat, mit der Nase ein wenig höher.
Dennoch: Während Olang sich nachwievor als großes Dorf gibt, vermeint man in Bruneck zwar mit einem obrigkeitlichen Willen zur Stadtwerdung konfrontiert zu sein, der allerdings einerseits durch die dort ansässige Bevölkerung, die nachwievor dem ländlichen Leben zugetan scheint, andererseits durch die Ahnungslosigkeit „der da oben“ nicht wirklich durchgesetzt werden kann. Und genau das scheint das Problem der Stadtwerdung Brunecks zu sein, die ganz offensichtlich in der Gegend voran getrieben wird.
Stadtwerdung Brunecks
Das Radio als subtiles ideologisches und propagandistisches Medium verrät einiges über die Denkweise (und über die Denkfehler) derer, die nicht nur im Radio das Sagen haben. Radio Holiday, beispielsweise, brachte ein Interview mit dem Bürgermeister von Bruneck (oder einer ähnlich gearteten Person; da kann ich mich nicht mehr erinnern!), das die Stadtwerdung Brunecks, seine Internationalität inmitten einer schönen tiroler Natur zum Thema hatte. Das Interview wirkte beinahe so, als ob jener Bürgermeister (oder wer auch immer) um jeden Preis die Schlagworte „Internationalität“ und „Schönheit der Natur“ kommunizieren wollte. Jedes Argument, jede Antwort, jede selbst getroffene Aussage war mit diesen beiden Schlagwörtern durchsetzt. Internationalität. Schönheit der Natur.
Mit den beiden Stichwörtern war allerdings nichts anderes gemeint als die Forcierung der Stadtwerdung Brunecks, das sich international und in Mitten einer heilen Natur präsentieren will. Das Schlagwort Internationalität stand, wie im Laufe des Interviews klar wurde, für den Bau eines neuen Kongresszentrums, die Schönheit der Natur stand für den von Umweltsünden noch nicht zerfressenen Baugrund. Mit dem Kongresszentrum will man international tätige Veranstalter von Konferenzen, Diskussionen, Messen und eben Kongressen locken, die Schönheit der Natur sollte dem Ganzen Nachdruck verleihen, denn wo sonst ließe sich besser konferieren als inmitten eines natürlichen „Paradieses“.
Natürlich ist die Eigenwerbung für Leute wie den Bürgermeister (oder wen auch immer) das A und O der Arbeit, doch bitte, es geht auch weniger plump. Und vor allem: Wenn auch die Natur schön und das Kongresszentrum modern ist, es fehlt Bruneck schlichtweg am sonst üblichen städtischen Treiben und an der städtischen Mentalität der Bevölkerung. Wenn Gastronomiebetriebe zwischen 14:30 Uhr und 18:00 Uhr zusperren, wenn die auf an zu Fußgängerzonen deklarierten Einkaufsstraßen ansässigen Geschäfte ausgedehnte Mittagspausen abhalten, wenn so Kleinigkeiten wie Mistkübel an eben diesen Straßen nicht zu finden sind, wenn die Parkplätze im Schnitt maximal 20 Autos aufnehmen, wenn es keine vernünftige Zugverbindung, keine Autobahn und sonst nur schwerliche Möglichkeiten gibt die Gegend zu erreichen, wenn die Bevölkerung mehr damit beschäftigt ist (egal ob mit hoher Nase oder nicht) sich vom Land abzutrennen als eine eigene Stadt im kulturellen und selbstbewussten Sinn aufzubauen, wenn die Tradition (die ländliche!) eine größere Rolle spielt als neue kulturelle und urbane Phänomene, dann ist es für mich schwierig zu verstehen, wie man hier Stadt werden will.
In meinen Augen und aus meinen bescheidenen Erfahrungen, sind es die Menschen, die eine Ansammlung und Verdichtung von Häusern, Bürogebäuden, Einkaufs-, Kongresszentren und sonstigen stadtbaulichen Attributen zu dem machen was sie darstellen sollen: Eine Stadt. Das wäre eine Herangehensweise an die Stadtwerdung, die ohne Schlagworte wie Internationalität und Schönheit der Natur mit den gleichen, wenn nicht sogar einem besseren Effekt, zum Ziel führen würde.
Ambiguität der Heimat
Nach einigen Gesprächen mit einer allerdings sehr begrenzten Zahl von Einheimischen, bin ich zu dem Schluss gekommen, dass der Begriff Heimat einer gewissen Mehrdeutigkeit zu heim gefallen ist. Man weiß nicht so recht, wie schon anfangs gesagt, ob man nun Italiener, Österreicher, Südtiroler, Tiroler oder gar Deutscher ist. Von jedem ein bißchen was, von keinem genug, eine Ambiguität von Heimat, wie man sie häufig von Vertriebenen oder im Exil Lebenden kennt. Selbst die Formulierung von Präferenzen fällt schwer. Das mein primärer Eindruck.
Hinzu kommt noch eine weitere Feststellung, die allerdings ebenso wie das vorher Gesagte, auch von keiner Bedeutung sein muss, da die Anzahl derer, mit denen ich mich unterhalten habe, an einer Hand abzuzählen ist. Lebt man zwischen den Ländern und zwischen den Nationen, gehört zu den einen nicht mehr und zu den anderen noch nicht dazu, dann würde man, so meine Meinung, etwas Eigenständiges schaffen und auch danach leben. Das allerdings ist in dem Bereich von Südtirol, den ich besucht habe, nicht so. Ob es am Fernsehen, dem Radio oder den Medien als meinungsbildenden und kulturschaffenden Instrumenten liegt, das so etwas Eigenständiges wie eine „Südtiroler Kultur“ noch immer nicht wirklich existiert, kann nur vermutet werden; diese Vermutung liegt allerdings sehr nah, denn ein Südtiroler hört Ö3 und sieht sich im Fernsehen Filme auf RAI an.
Mal sehen, ob ich diese Eigenständigkeit des Südtiroler Daseins noch erleben werde.
Zum Schluss
Gegen Ende dieser Reise durch Südtirol noch ein paar trockene Fakten des durchgeführten touristischen Programms (siehe auch die dazugehörige Galerie auf Flickr):
- Antholzer Wildsee,
- Pragser Wildsee,
- drei Wasserfälle, an deren Name ich mich nicht mehr erinnere,
- die Erdpyramiden zu Neunhäusern,
- Stadtbesichtigung Bruneck,
- Stadtbesichtigung Olang,
- Pizza,
- Pasta,
- Schlutzkrapfen und andere Südtiroler Unaussprechlichkeiten, sowie
- das neu errichtete Cron4, ein Wellness- und Sporttempel bei Bruneck (Internationalität, Schönheit der Natur!), in dem man oben Genanntes wieder abbauen konnte.
Die Rückfahrt – E66, dann A2 – gestaltete sich in Folge eines ausgedehnten Abendessens in Graz etwas länger als erwartet, doch nicht nur die lukullischen Genüsse bremsten das Vorankommen, sondern auch die verkehrspolitischen Idiotien der Steiermark, die sich in 100km/h-Zonen auf der perfekt ausgebauten Autobahn manifestierten. Nach Ankunft in Wien, wurde wieder klar, und auch das, es ist mir bewußt, ein Schlagwort: Wien ist anders!