Sonntagsarabesken #13

Ora e per sempre addio sante memorie,
addio, sublimi incanti del pensier!
Addio schiere fulgenti, addio vittorie,
dardi volanti e volanti corsier!

(G. Verdi, Otello, Atto II – Libretto: A. Boito)

Es gibt nur einen Abschied von geliebten, Liebe gewordenen Träumen, geheiligten Erinnerungen und süßen Lockungen des Wunschdenkens: Erzwungenes Verstummen des Wollens, durch brutales Ausbrennen herbeigeführt, denn nichts fällt leicht in den wachen Augenblicken, und alles gleitet davon, wenn wir schlafen. Manchmal sogar das Leben, wenn es, unschuldig, nichtsahnend, schwanenweißer Nacken, das letzte Gebet gesprochen, mit müdem Fuß das Bett besteigt. Das Denken und der Wahn jedoch sind bei dem, der wach und getrieben aus dem Dunkel tritt; Geschichten schreiben sich wie von selbst aus Gedanken und Taten des Wahns, nie aus dem Schlaf. Der Schlaf bleibt der Geschichte das Fremde, und selbst der Traum, den wir durchleiden, wird erst zur Wahrheit, wenn wir erwachen. Tausende Tentakel tasten nach dem lauernden Getriebenen, und mit giftiger Flüssigkeit verderben sie sein Gemüt. Seine Phantasie wird Wirklichkeit. Aber was geschieht danach? Bleibt das Vergessene für immer abseits, wie das Geträumte? Nein. Melodien, glitzernd wie Glas, erwecken die Gedanken von Neuem. Aus dem Schaum der bitteren Tage sprudeln sie plötzlich wieder an die Oberfläche, die blaßrosigen Kirschblüten eines weit entfernten Frühlings, an den die Erinnerung bereits gestorben schien. Sie sind wirklich, und die Freude, die man bei ihrem Anblick empfindet, ist es ebenso. Dennoch wird ihr zartes Gewebe als einem schattigen Totenreich zugehörig empfunden; jeder glaubte den luftigen Haufen der Blüten am Ende einer allzu kurzen, windigen Stunde begraben. Eingebildtes Vergessen macht die Hälfte des Denkens aus, eine ewige, verbissene Anstrengung, das Gewesene aus dem Bewußtsein zu verdrängen; eine Decke dünnen Eises legt sich mit solchen Versuchen über das gedämpfte Geschrei der Vergangenheit. Leicht ist sie durchbrochen; hat man das erst einmal begriffen (dass die Schatten von einst immer wieder und mit unvermuteter Heftigkeit diese trügerische Eisplatte zu sprengen wissen), so bleibt nur noch das Stillhalten, sofern man entschlossen ist, weiter die Grenze zwischen Leben und Schlaf aufrecht zu erhalten. Auf Dauer muß man allerdings daran verzweifeln. Oder auf die Seite des Traumes wechseln.