Sonntagsarabesken #132

Aus dem Fenster blickend, den Rücken der Stadt mit den Augen berührend, sich an den Kanten und Unebenheiten der Dächer entlang tastend; den grau gefleckten Himmel betrachtend, der die Konsistenz von Quecksilberdampf zu haben scheint. Ein kühler Luftzug streicht über meine Wange. Leere hat sich durch die Wohnung gebreitet. Sie ist Hand in Hand mit der Kälte gekommen. Durch die Ritzen dringt sie ein, sickert bis in die feinen Haarrisse des Parkettbodens, den diffuses, gelblich-graues Licht in einen ölverschmierten Spiegel verwandelt. Ich stehe von meinem Schreibtisch auf und drehe mich im Kreis. Musik umwirbelt mich in zauberhaften Wellen. Die Zeit löst sich auf, Objekte verlieren Sinn und Bedeutung, das Draußen läuft mit dem Pathos einer verkitschten Theaterinszenierung vor den Fensterscheiben ab. Der Applaus der Zuschauer ist enden wollend. Fühlt es sich so an, wenn das Glück implodiert? Wenn es sich plötzlich, von einem Tag auf den anderen, aus dem Gefäß der Seele zurückzieht, aus welchem Grund auch immer, und der von ihm eigentlich auszufüllende Hohlraum mit einem häßlichen Geräusch zusammenbricht? Ein merkwürdiges Stechen, das wohl reine, hochprozentige Traurigkeit sein dürfte, gibt mir den Hinweis auf die Richtigkeit meiner Annahme. Mein Gesicht spiegelt sich verzerrt in der schmierigen Oberfläche des Bodens: Schritte vorwärts und rückwärts machend male ich eine hautfarbene Bahn auf diese provisorische Leinwand, Spiegelbildspuren, die sich unter dem nächsten Blick bereits im Nichts verloren haben wie die Brandungslinien an einem Sandstrand. Eine flüchtige Empfindung. Hunger. Hunger nach Gefühlen, Hunger nach dem geliebten Wesen, das zum zweiten Mal hinter dem Horizont verschwunden ist, Hunger nach milden Nächten in Florenz und Frühlingsspaziergängen in Schönbrunn, Hunger nach dem Ende der heißen kalten Tage. Mit jedem dieser Gedankenfetzen schwindet meine Anspannung merklich. An ihrem Platz wächst die Gewißheit, sich in einem Raum zu befinden, der nach Ablauf einer bestimmten Zeitdauer wieder mit dem hellen Lachen ihrer einzigartigen Präsenz gefüllt sein wird. Ein verwunschenes Opernhaus, das, in Zauberschlaf gefallen, auf seine Wiedererweckung wartet. Ich stocke in der Bewegung. Die Farben vor dem Fenster, beinahe unverändert. Und doch: Ein goldener Schatten wandert über die Schreibtischplatte. Ein Sonnenstrahl, der sich durch die scheinbar undurchdringliche Wolkendecke gekämpft hat. Ihre Lippen an meinem Ohr. Ein Flüstern, das ich nicht verstehe, ihre Stimme, tausend Kilometer entfernt, über Meere und Gebirge hinweg, durch das Rauschen von Olivenbäumen, salzigem Wellenschaum, beißenden Staubwolken, in mein Herz geträufelt, ihr Schatten, der durch die leeren Räume streift, ihre Bewegungen, die meine entzündeten Augen gierig verfolgen. Ihre warme Handfläche legt sich schützend über meine Wange. Zufriedenheit, unbeschreibliche Zufriedenheit steigt in mir auf. Ich lasse den Kopf zur Seite fallen. Nicht schlafend, nicht wach, so denke ich mich zu Dir.