Sonntagsarabesken #37

Seit der Maimitte versuchten die Franzosen mit verzweifelter Anstrengung, den Schwerpunkt der Maaskämpfe auf das rechte Ufer hinüberzureißen. Nach einer riesigen Artillerievorbereitung holten sie zu einem wuchtigen Schlage gegen Fort Douaumont aus. Es gelang ihnen, am 22. Mai bis an die Kehle des Forts vorzustoßen. Da setzte der Gegenangriff ein; schon der 24. Mai brachte den Franzosen eine schwere Niederlage.

Eine Verzweiflung, die eigentlich keine war, und die Stimmung sommerlicher Abendkühle prägten diesen Tag; die Schwalben hatten ihre Nester verlassen. In kleinen Gruppen schossen ihre dunklen Körper über die Buchsbaumhecken hinweg. Ein Gewitter zog herauf, von jenseits des Flusses. Dunkle Wolken, die einen Kreis um die mattgelbe Sonne gebildet hatten. Ein zerschlagenes Ei, schwarz verbrannt. Diejenigen, die durch die Fenster zum Wasser hinüber blickten, sahen die ersten Regentropfen auf den kleinen Wellen zerplatzen. Eine Flasche machte die Runde. Fünf, sechs Gestalten im Dämmerlicht des Zimmers, und keiner sprach ein Wort. Kopfschußatmosphäre. Ein häßliches Wort. Auf dem Tisch lag die geladene Waffe. Jeder wußte, was zu geschehen hatte. Sie tranken. In den Schützengräben ihrer eigenen Verzweiflung liegend, den Blick kaum über den Rand ihrer Gläser hebend, aus Furcht, in angsterfüllte oder rachsüchtige Augen zu schauen, sich an das Geschehene erinnernd, die Fetzen der Zukunft heraufbeschwörend. In der Ecke die Leiche, von der Plastikplane nur unzureichend verdeckt. Der kalte Geruch des Schusses. Das Blut. Heißer Schweiß. Und die Schreie. Nichts davon war noch real. Jetzt zählte bloß der Alkohol. In großen Mengen, schnell getrunken, schneller als ein Gedanke, es mußte so sein, denn alles andere wäre der Anfang tödlicher Verzweiflung gewesen. Kopfschußatmosphäre. Auf der anderen Seite des Flusses brannten Dächer. Die Schnapsflasche war leer. Die Tür hatte sich einen Spalt breit geöffnet, und das Kind, im weißen Schlafgewand, war in das Zimmer getreten. Verstört, aus den Träumen gerissen, starrte es, ein zarter, fast durchsichtiger Engel, auf den Stöckelschuh, der auf der Schwelle lag. Einer von ihnen sprang von seinem Stuhl auf und packte den Kleinen an der Schulter. Ein scharfer Befehl. Zwei Hände griffen gleichzeitig nach der Pistole. Laß es schnell vorbeigehen! Laß mich nach Hause gehen, laß mich sie wiedersehen, sie berühren, sie küssen und ihr all das beichten, was ich getan und gesehen habe! Laß mich den morgigen Tag überstehen! Laß mich überleben! Kopfschuß.

J’écoute les bruits de la ville
Et prisonnier sans horizon
Je ne vois rien qu’un ciel hostile
Et les murs nus de ma prison.