Sonntagsarabesken #6

Schreiben für Dich, die Du es nicht lesen wirst.

Ich bin nicht verzweifelt oder gedemütigt oder verletzt zurück gelaufen in die sichere Festung alter Bindungen, wenn Du das glaubst. Ich habe mir nicht aus Bequemlichkeit das Leben verbaut. Ich habe keineswegs irrational oder überstürzt oder impulsiv gehandelt. Eine einfache Entscheidung (ein kleiner Schnitt in das Fleisch meiner Empfindungen) hat genügt, mir einen Moment der Ruhe zu verschaffen. Absurd ist die Annahme, durch diese meine Tat sei deutlich geworden, dass ich nur einen kurzfristigen Ersatz für die beendete Beziehung gebraucht hätte, damals, im September. Unsinn. Die alte Freundin jetzt durch die alte Freundin ersetzen? So verrückt bin nicht einmal ich, dass ich es nötig hätte, derart krankhaft auf meine unterbewußten Wünsche zu reagieren! Meine Liebe zu Dir war nicht gelogen, nicht eingebildet, nicht konstruiert. Sie war alles, was eine Liebe nur sein kann: mitreißend, bedrohlich, somatisch, erhebend, beruhigend (und vieles mehr, dessen Aufzählung ich mir jedoch erspare). In stammelnder Sprache habe ich versucht, diese Liebe zu beschreiben. Dabei habe ich alles ausgedrückt, was ich konnte, und so, wie ich es konnte; ich dachte, in der Qual meines Versuches glaubhaft gewirkt zu haben. Und jetzt von Dir dieses schlecht verdaute Psychologen-Geschwätz, das nicht einmal zur Hälfte authentisch wirkt; kommt das etwa aus den Tiefen einer oft verletzten Seele? Ich fühle, wie mich ein seltsamer Zorn zur Grausamkeit verleitet; ich spüre, dass ich mit Giftpfeilen um mich schießen will. Was ist mit Deiner so gut gespielten Aufregung und Bestürzung zum Beginn meiner neuen alten Beziehung? Wie soll man die Zeichen deuten, die scheinbar offen, vielleicht aber mit Hintersinn (erleichtert, entgeistert?), sich dem Auge darbieten? Zur Zeit bin ich noch verwirrt, aber mir scheint, als könne diese Stimmung jederzeit in puren Ekel umschlagen. Vor allem, wenn ich mich daran erinnere, wie die kalte Nicht-Reaktion auf meine Worte ausgesehen hat, zur regnerisch-nächtlichen Stunde bei Klaviermusik am letzten freien Tisch. Seitdem bin ich überzeugt, dass keine Silbe in dieser Sache noch Veränderung bewirken kann. Weil Du Dir auch in Zukunft nicht nur jede Antwort, sondern wahrscheinlich auch das Lesen verbieten wirst.

Oder liest Du sie doch, diese Zeilen? Und schweigst?