Sonntagsarabesken #87

Ja, es ist schon Sonntag. Schwarz umrandete Augen in grell blinkendem Licht, und unter den schwer fallenden Takten der Musik krümmen sich aufgelockert stehende Körper. Es versteht sich von selbst, dass hier Bier getrunken wird. Was auch sonst. Die Luft ist, wie man sagt, zum Schneiden, und eigentlich sind alle kurz davor, sich die Lungen rauszukotzen, ob vor Freude, Ekel, Alkohol- oder Nikotinrausch, man weiß es nicht genau. Und es ist auch egal. Die Karten liegen auf dem Tisch; macht was damit! Groß ist die Summe der hier versammelten Enttäuschungen. Das beginnt bei den rücksichtslos Liebenden, erstreckt sich über die frisch Vereinten bis hin zu den hemmungslos aber stets allein Tanzenden. So viele ineinander verknotete oder auch sich nur am Rande berührende Lebensläufe, die hier Seite an Seite die totale Vernichtung ihres Gehörsinnes feiern. Recht so! schließlich ist die Laune danach, und alles andere steht in einem solchen Moment zurück. Sollte es zumindest, denkt der rat- und planlos den Takt durch die Untiefen des Körpers pulsieren Spürende, bevor er sich die nächste Bierdose zu Gemüte führt. Es wird in nettem Plauderton Vergangenes besprochen, obwohl die zur Debatte stehenden fünf Minuten von allen, die davon wissen, gänzlich unterschiedlich beurteilt wurden. Das unschuldige Probieren ging damals über in eine reizvolle Nebenbeschäftigung, und beides mischte sich schließlich Monate später in den Augen der blind und taub Geborenen zu handfestem Betrug. Ans Tageslicht kam es freilich erst kurz vor dem Abtauchen in den musikerfüllten Tunnel, und auch sonst sind für ihn die letzten Wochen nicht ohne Anstrengungen der schmerzhaften Art geblieben. Er dreht das warme Alu der Bierdose zwischen den Fingern und lächelt dem ihrerseits vorgebrachten Kampflächeln ein routiniertes Abwehrlächeln entgegen. Und fühlt sich dabei im Grunde nicht anwesend. Das überrascht ihn dann doch: Die Routine, mit der er sein photogenes Restprogramm hier abspult, die Zeit überbrückt, bevor die Heimkehrende sein Leben in einen Traum verwandeln wird (wovon er überzeugt ist). Der junge Sonntag hat es in sich. Draußen verlaufen sich die letzten Gäste der türkischen Hochzeit in den zerfledderten Eingeweiden des elften Bezirks. Eine Stimme legt sich über die sonore fleischige Masse der profund zerkochten Notenkumulation, zerschneidet den harmonischen Tafelspitz und krönt die seltsam unbewegte Fasern mittels eines scharfen vokalen Krenhäubchens. Vielleicht ist es Zeit zu gehen. Doch noch sind die blitzend hellen Augen nicht ausgeschöpft, die letzten Schlucke nicht getrunken, die letzten Züge nicht geraucht. Und deshalb nimmt er den jungen Sonntag an der Hand und lehnt sich gegen feuchtkalten Beton. Now that I’ve found you and seen behind those eyes – How can I carry on?