Münz denkt nach
Ästhetisches. Allzu Ästhetisches. Das Leben als Kunstwerk. Schwer durchzuhalten, diese Maxime, wenn man sich fühlt wie in einem Dampfkochtopf, denkt Münz, während er aus dem letzten Loch zu pfeifen vorgibt, um die angenehme Position vor dem Fernseher nicht verlassen zu müssen. Seine Freundin möge bitte aufstehen und ein kaltes Bier aus dem Kühlschrank holen. Sie schnauzt ihn an, man lebe doch um Himmels willen nicht mehr in den Sechzigern! Er solle sich sein verdammtes Bier selbst holen. Und außerdem, was sei denn das bitteschön für eine Art, bei dieser gräßlichen Hitze faul vor dem Fernseher zu liegen und sich von ihr ein Bier servieren zu lassen? Münz schnauft. Er überlegt kurz, ob er seinem natürlichen Hang nachgeben und den Choleriker nach außen kehren soll. Doch der Sanguiniker gewinnt. Es ist zu heiß. Er sagt nur: Du mich auch, Schatzi! und hebt in einer Geste der Resignation die Hand. Sie steht auf und zischt: Du Arschloch! Münz lächelt versonnen; es ist ein feines, ein ziseliertes, ein beinahe chinesisches Lächeln. In einem Spiegel hätte es sich wunderschön gemacht. Ein italienisches Renaissancegemälde hätte es geadelt. So verpufft es auf halbem Weg zwischen Mattscheibe und Pizzakarton. Dennoch ist Münz stolz auf dieses göttlich vollendete Lächeln. Ja, seine Freundin hat recht. Er ist ein Arschloch. Mit Licht und Schatten (obwohl man als lebender tiefster und geheimster Punkt des Hinterteils eher mit letzterem aufwarten können sollte): Manchmal vollgedröhnt mit Valium und Vodka, aber immerhin dem Leben auf der Spur. Dann wieder an Stofftieren interessiert und Salzgebäck knabbernd, aber wenigstens mit dem irren Blick des potenziellen Teddybärmörders ausgestattet. Also: Hin und her gerissen zwischen Alltag und Durchdrehen. Ein Arschloch jenseits der Balance. Ein Mensch, der sich nur noch mit dem großen Zeh ans Drahtseil klammert. Er schwitzt unter den Zehen. Das spürt er genau und nickt im Takt der einigermaßen lauten Musik. Die Kür auf dem Hochseil fällt ganz schön schwer. Münz ist Akrobat ohne Plan. Und ohne Bier.