Die Wahrheit ist schillernd. Ihre Erscheinungsformen changieren zwischen den unterschiedlichsten Extremen. Wieder bin ich darauf gestoßen, beim Blick durch die Wände des gläsernen Gefängnisses, in das mich mein eigener Wille zum Glück gezwungen hat. Das Gesehene ist im Grunde unverdaulich schön. Von einer unheimlichen Wortlosigkeit, die sich wohl aus seiner Struktur ergibt, die unterhalb jeglichen Intellekts auf der rein fühlenden Ebene angesiedelt ist. Solcherart bezaubernde Erinnerung hat mich befallen wie ein Virus; von überall her springt sie mich an, wirbelt vor meinen Augen, braust durch meine Ohren, hat meinen Körper unter ihrer Kontrolle, jede Sekunde ist erfüllt von ihrem magischen Wühlen und Bohren, das sich bis in die tiefsten und schattigsten Winkel meines Bewußtseins fortsetzt. Auf meiner einsamen Insel im Zentrum des Wiener Sommerzyklons sitze ich und träume vor mich hin. Vor und zurück. Manchmal mit schnellen Atemzügen unterlegt, manchmal gefangen von den grausamen Bildern, die sich in meinem gequälten Gehirn wie unterbewußte Embryonen zu entfalten beginnen. Eintagsfliegen, die ihre Eier in meinen Verstand gelegt haben. Epidemisch bricht das bis dahin noch Ungedachte plötzlich aus, und die Folgen sind verheerend. Einerseits schlagen mir Unverständnis und Ablehnung entgegen, andererseits drängt das gefährlich gereizte Gewohnheitstier zurück in den subtropischen Lebensraum gelebter Zufriedenheit. Gelebt und verlebt. Wie das in Rossinis teuflisch genialer Ouverture aufziehende Gewitter, das sich in den zarten Akkorden der Bläser verliert, wie die letzten Streifen dunkler Wolken an einem blaßrosa grundierten sommerlichen Abendhimmel, wie der silbergraue Schatten in graugrünen Augen, deren Schimmern den Verzweifelnden jahrelang begleitet hat. Die Geisterschiffe sind endgültig abgefahren. Nur eines hat den Hafen erreicht. Und dann? Nichts. Seit allzu langer Zeit nichts. Die Geschichte ist ins Stocken geraten. Spätfolgen eines traumhaften Exkurses? Vielleicht auch nur Wirkung der bleiernen Hitze, die sich in das feuchte Unatembare einer Urwaldepisode kleidet. Selbst zum Krepieren ist dieses Klima ungeeignet; die Insekten fliegen auf Knöchelhöhe, und die Oberleitungen vibrieren im Todeshauch einer sanften Warmluftströmung. Dazwischen webt die allzu weit entfernte Stimme, gehüllt in elektrostatisches Rauschen. Die Schwingungen fangen sich in den kalten Luftbänken über Norditalien, taumeln gemeinsam die Dolomitengrate entlang, stürzen hinab in das Alpenvorland, mischen sich im Regenschleier, der den Attersee verhüllt, ihr rollendes Rasen bis an den ausfransenden Rand des Wienerwaldes fortsetzend, sich in entfesselten Blitzen des von Westen heraufziehenden Gewitters auflösend und in der trockenen Hitze des pannonischen Flachlandes wieder findend, entstellt und gezeichnet, aber unzweifelhaft zusammen gehörend. Denn soviel war ja schon von Anfang an klar. Selbst wenn beide zu kennen glaubten, was sie doch nicht verstanden haben; selbst wenn sie einer schemenhaften Hoffnung vertrauten, die sich bei näherem Hinsehen doch nur als ziemlich konventionelles Gerüst natürlicher Abläufe entpuppen sollte. Liebe läßt sich eben nicht beschreiben. Weder im Chaos des Sturmes noch in der Ruhe des rückwärts gewandten Genießens. Und obwohl beide Bahnen sich nie zu berühren vermögen, sind sie dennoch hier versammelt, als gleichberechtigte Varianten der Wahrheit. Jeder möge sich seinen eigenen Reim darauf bilden!