Respekt vor meiner Zeit: unangekündigte Anrufe sind störend und unhöflich

Die Jungen wollen nicht mehr telefonieren, weil sie Telefonate als "störend und unhöflich" wahrnehmen. Recht haben sie, denn ein Telefonat ist - Notfälle ausgenommen - immer etwas, das meine Zeit geringer schätzt als die desjenigen, der anruft.

Im Standard schreibt Jakob Pallinger über die Wahrnehmung junger Menschen von unangekündigten Anrufen als störend und unhöflich. „Wenn das doch passiert,“ wird eine junge Frau zitiert, „denke ich sofort, dass etwas passiert ist“. Und sie hat Recht: In Zeiten kontinuierlicher Präsenz am Smartphone, ist das Management von Erreichbarkeit – vor allem das Management von Erreichbarkeit auf eine bestimmte Art und Weise – essentiell. Und wer sich nicht daran hält und trotzdem anruft, beweist, dass er seine Zeit wertvoller ansieht als meine Zeit. Respektlos, also.

Dass Telefonieren gerade unter jungen Menschen immer unbeliebter wird, zeigen regelmäßige Umfragen zu dem Thema. [Von] 1.000 Menschen im Alter von 18 bis 24 Jahren […] vermeidet es rund ein Viertel aktiv, zu telefonieren. Rund ein Drittel gab an, dass sie Telefonate unangenehm finden, ein Viertel würde nie jemanden unangekündigt anrufen und mehr als zwei Drittel tauschen sich lieber über Whatsapp, iMessage oder Snapchat aus, anstatt zu telefonieren. […] Junge Menschen haben das Smartphone fast ununterbrochen bei sich und wollen gerade deshalb besser kontrollieren, wann sie erreichbar sind und wann nicht […] Denn während ein Anruf häufig als Überrumpelung wahrgenommen werde, der eine Aufmerksamkeit im Hier und Jetzt erfordere, kann man auf Text- oder Sprachnachrichten auch später – oder gar nicht – antworten.

derstandard.at

Ich gehöre definitiv nicht in die Gruppe der 18-24 Jährigen, aber bei mir ist es nicht viel anders. Telefonate unterbrechen mich in meiner aktuellen Tätigkeit, reißen mich aus meinen Gedanken heraus und erzwingen sehr häufig einen vollständigen Wechsel des Kontexts, in dem ich mich gerade befinde. Nachrichten, über welchen Kanal auch immer sie zu mir gelangen, sind mir viel lieber und ich nehme sie auch – um dem Titel des Standard-Artikels wieder mehr zu entsprechen – als viel „freundlicher“ und „höflicher“ wahr. Ich kann sie lesen, wenn ich Zeit habe, darauf reagieren, wann (und wenn) es mir möglich ist, und ich werde in meiner Tätigkeit nicht unterbrochen. Hier passt das Höflichkeitsargument sehr gut: Derjenige, der mir etwas zu sagen hat, hat trotzdem Respekt vor meiner Zeit und bedient sich ihrer nicht „einfach so“.

Was ich anfangs zum Beispiel etwas eigenartig gefunden habe, ein Nachricht, nämlich, in der ich gefragt werde, ob ich in den nächsten 1-2 Stunden Zeit für ein Telefonat hätte, schätze ich mittlerweile sehr: ich kann zu Ende arbeiten und mich im Anschluss um ein anderes Anliegen kümmern. – Aus solchen Anfragen kann ich erkennen, dass der Person, die die Anfrage stellt, klar ist, dass auch ich zu tun habe und nicht kontinuierlich für sie bereitstehe. Sie zeigt also Respekt vor meiner Zeit – ein feiner, höflicher, freundlicher Zug.

Es ist […] eine Frage der Erfahrung […], rasch und zielsicher zu entscheiden, welcher Kommunikationsweg für die anstehende Aufgabe am effizientesten ist. Aber es ist auch eine Frage der Empathie, dabei mit zu bedenken, welcher Weg dem Empfänger am liebsten wäre. Letztlich ist das aber mit ein Faktor für erfolgreiche und effiziente Kommunikation.

Kommentar im Standard-Artikel

So gesehen bin ich hier aufseiten der 18-24 Jährigen und setze das auch zwangsläufig mit dementsprechenden Einstellungen am Smartphone auch technisch um: Telefonate nur, wenn es unbedingt sein muss oder wenn es die Situation erfordert (plus alle Ausnamen wie Großeltern und Notfälle). Ansonsten sehr gerne jede andere Form der Kommunikation, die mich nicht zwingt, meine momentane Tätigkeit zu unterbrechen, und mir somit zeigt, dass der Anrufer Respekt vor meiner Zeit hat.

Die Präferenzliste der Kommunikationsarten gilt also noch immer.

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