Nachdem gestern von Eindrücken nahezu schon überladenen Tag, kehrte dann heute doch noch Ruhe ein. Das Wetter wollte mir keinen zweiten solchen Tag vergönnen, war es doch gestern angenehm kühl gewesen, so erwartete mich heute eine Wasserwand vorm Fenster.
Nr. 387, wir erinnern uns, das war die nette Rezeptionistin, die mich am liebsten gleich wieder aus dem Hotel geworfen hätte, ward seit gestern nicht mehr gesehen. Ich habe heute sogar Nr. 169 (Frühstücksvoucherabreisserin) gefragt, ob sie wisse wo denn Nr. 387 sei, aber auch sie wusste es nicht, ebensowenig wie Nr. 20 (wohl eine Art Manager), Nr. 107 (Frühschichtrezeptionistin) und die Dame an der Bar (keine Nummer). Auch schön.
Die Über-die-Brücke-Nudeln habe ich am Heimweg vom Internetcafé auch noch bekommen. Diese Nudeln sind ja mehr Geschichte als echtes Essen und weil die lesenden Massen diese Geschichte auch kennenlernen wollen, voila, hier ist sie in pragmatischer Kurzfassung:
Frau will Mann Essen bringen, weil er ihr ja sonst verhungert, die Nudeln werden aber jedes Mal kalt. Frau kommt drauf, dass wenn man eine Ölschicht auf die Suppe obendrauf tut, sowohl die Suppe als auch die Nudeln in der Suppe länger warm bleiben. Sie muss, um zum Arbeitsplatz des Mannes zu gelangen, über eine Brücke.
Das war’s. Das ist die Geschichte.
Und was sind das nun für Nudeln?, fragt die Leserschaft. Dicke Reisnudeln, die in einer Hühnerbrühe mit einer öligen Schicht obendrauf gekocht werden, nachdem man Unmengen an Zutaten zuvor in die Suppe geworfen hat. Das wird meist von der Kellnerin erledigt, die gestern mit den Worten „The waitress is always friendly!“ 0,8 Sekunden nachdem die Teller mit den Zutaten (von denen ich 95% nicht erkennen konnte und von diesen 95% nach visueller Begutachtung 100% nicht haben wollte) vor mir hingestellt wurden und ich noch gar keine Ahnung hatte, was mich gleich erwarten wird, alle Beilagen in den Suppentopf geworfen hat: Rindfleisch, vier Sorten Fisch, irgendwelche krautartigen Dinge, irgendwas, das fürchterlich stank (ich musste diese Ding jedesmal untertauchen, wenn’s an die Oberfläche kam, so schlimm war das!), Tofukruste, Unmengen an Gemüse, und noch irgendwas, von dem ich nichteinmal sagen konnte, ob’s nun Fisch, Fleisch, Gemüse oder einfach nur Altplastik war – und dann halt noch die 95%. Alles in allem waren die Nudeln okay, die Suppe… auch, das eingeworfene Zeugs habe ich dezent im Topf gelassen und die Beilagen – in Scheibchen geschnittener Aal, Leber mit Scharf (ah, gut Mann!), weiche marinierte Erdnüsse (höllisch scharf!) und sowas wie Salat dazugeworfen. Dann schnell aus dem Lokal. Und nicht einmal das war einfach, denn…
Die Kellnerin, die alles in meinen Nudeltopf befördert hat, war sehr jung. Vielleicht sechzehn oder siebzehn, wenn überhaupt, aber freundlich. Vollkommen fasziniert blättert also das Mädel in meinem Reiseführer, sieht sich in aller Ruhe meine Geldtasche (und meine Fotos in diversen Ausweisen) an, kramt dann in meiner Tasche herum und wäre ich nicht in einem Sackgang (als Äquivalent zur Sackgasse) gesessen und sie im Sackende gestanden, ich wäre wohl wahnsinnig geworden, aber der Tee… ja, der Tee… Naja, jedenfalls hat die junge Dame gar nicht mehr aufhören wollen und vor allem die Euromünzen (warum hatte ich Euromünzen dabei?!??), die sie extrem hässlich fand, haben es ihr angetan. Nein, sie wollte keine haben und keine stehlen, nur genau anschauen. Jetzt war ich also in der Zwickmühle: Auf der einen Seite hat sie mir ja – the waitress is always friendly – diese Nudeln zubereitet und sich redlich bemüht mir zu erklären, wieso, weshalb und überhaupt – auf der anderen Seite war das Zeug einfach nicht gut und ich wollte weg. Wie geht man in so einem Fall vor? Wegschicken? Nein! Sie war zu jung, um mit dieser Form der Ablehnung jetzt schon konfrontiert zu werden. Fotografieren? Nein, das wäre ja dann gemein gewesen. Sagen, dass man ungestört essen möchte – zu spät, ich hatte ja schon probiert während sie sich meine Sachen angeschaut hat. Also was? Irgendeine Gottheit hat es dann doch gut mit mir gemeint und sie musste wieder arbeiten – darauf aufmerksam gemacht mit einem Klapps auf den Hinterkopf durch eine Vorgesetzte, die plötzlich, wie aus dem Nichts, hinter ihr stand (meine Güte, der Tee… da muss man wirklich aufpassen!). Ich werfe also alles, was es da an Ess-Gerät noch gibt (und damit meine ich die Speisen!) in den Nudeltopf, schnappe mein Zeug und bamm!, weg war ich! Und mitten in der Flucht vor einer völlig Fremden kommt mir dann die Frage, die ich kurz zuvor im Internetcafé gelesen habe:
Doch wann beginnt der Kompromiss, und wann hört man auf, man selbst zu sein?
Ich weiss es nicht, aber man merkt es sowieso erst danach und dann ist es zu spät. Gegen die Tür gerannt, heimgegangen.