Vor ein paar Jahren schon hat Volvo eine außergewöhnlich emotionale Werbung für die Sicherheit eines seiner Fahrzeuge vorgelegt und diese für den Volvo EX90 steht der vom letzten Mal um nichts nach. Wenn über ganze Leben von einem (Fahrt-) Sicherheitssystem entschieden werden kann, dann gibt es keine Kompromisse. Ein Autobauer muss glaubhaft versichern können, dass seine Sicherheitssysteme in genau diesem entscheidenden Moment, in der Millisekunde, die über Leben und Tod entscheidet, einwandfrei und wie geplant funktionieren. Eine Werbung wie diese zementiert Volvo rund um den Begriff „Sicherheit“ ein1.
The advertisement for Volvo’s latest EX90 [is] a 3:45-minute emotional cinematic ride that illustrates to perfect what it means to have a strong brand. To stand for something, and actually mean it. […] Volvo is safety, safety is paramount to parents, so Volvo is for parents. […] You couldn’t run this branding campaign for, say, Toyota, and see the same success. […] Volvo also does safety quite differently than most auto makers. They’re not just studying and optimizing for the crash-ratings tests, […] their cars do very well when the test expands to include new scenarios because it’s designed to be best-in-reality not just best-in-test.
David Heinemeier Hansson
David Heinemeier Hanssons Artikel lobt die Volvo-Werbung über größte Teile, sein Aufhänger ist aber der starke Kontrast dieses sehr gefestigten Markenauftritts zum missglückten Rebranding der Marke Jaguar, das auch jetzt, knapp zwei Monate später, nichts an seiner initialen Peinlichkeit verloren hat. Und wenn Herr Hansson schon sehr starke Positionen in Bezug auf bestimmte Werte einnimmt, auf das Jaguar-Rebranding bezogen hat er schon recht, wenn er meint
Jaguar’s new rebrand is getting murdered online, and for good reason. The clichés are as thick as the diversity pandering is dated. CREATE EXUBERANT. LIVE VIVID. DELETE ORDINARY. You’d think these were slogans from a Will Ferrel bit about insufferable marketing trons, but nope, that’s the 2024 campaign for a car maker that won’t be selling any cars until 2026. Utterly tone-deaf, out of tune with the vibe shift, and quite likely the final gasp of a storied but dying British brand. SAD!
David Heinemeier Hansson
Ich habe, wenn ich mir die beiden Kampagnen im Vergleich ansehe, immer das gleiche Gefühl: Auf der einen Seite gibt es Volvo, die einfach zeigen, was sie sind, und damit allen bisherigen Käuferinnen und Käufern glaubhaft versichern, dass sie ihren Werten treu bleiben und auch in Zukunft alles geben werden, um die Sicherheit sowohl der Passagiere als auch größtmöglich aller anderen Beteiligten so gut es geht gewährleisten zu können. Die Marke ist ein Fels in der Brandung und trägt die Botschaft: Egal, was gerade in Mode ist, egal, was gerade schick oder gefragt ist, wir weichen von unseren Werten, deine und die Sicherheit deiner Liebsten mit allem, was wir technologisch aufbieten können, zu garantieren, nicht ab.
Das genaue Gegenteil hat Jaguar kommuniziert. Jahre, nein, Jahrzehnte lang hat Jaguar ein Image repräsentiert, das bestimmte Werte, vor allem aber ihr Überdauern in schwierigen und herausfordernden Zeiten, sowie totale Stabilität auch gegenüber noch so starken Trends bewahrt hat. Die Peinlichkeit von Werbung, die sich Jaguar vor kurzem geleistet hat, ist nicht, wie der Jaguar-CEO verteidigend lamentiert, „vile hatred and intolerance“, sondern ein Komplettversagen in einer erfolgreiche Rebranding-Kampagne, weil sie mehr ein „Sein wollen“ anspricht und weniger ein „Sich ändern“.
Was meine ich damit? Während Volvo das, was das Unternehmen darstellt, immer und immer wieder zum Thema macht und sich damit stark und über Jahrzehnte hinweg stabil positioniert, geht Jaguar den genau gegenteiligen Weg. Die Marke vernichtet ein über Jahrzehnte hinweg aufgebautes Image und sieht in der Vernichtung – der irreversiblen Vernichtung, wohlgemerkt! – den revolutionären Akt. Das Problem dabei ist aber, dass Revolutionen für gewöhnlich auf einer Vorstellung, wie etwas nicht sein soll, basieren, was gerade bei einer Marke ein gewaltiges Problem darstellt und aufgebautes Vertrauen gleich mit vernichtet. Was Jaguar de facto aussagt, ist: Alles bis her war schlecht. Und schlecht war und ist auch, wer unsere Autos gekauft hat.
Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen! Eine Automarke will so sein, wie es schicklich ist, zu sein – was auch immer das für die Zeiten, in denen dieser Artikel gelesen wird, bedeutet. Und um so sein zu können, zerstört sie alles bisherige ohne aber ein klares Profil zu haben, wie es in Zukunft sein wird. Ohne offenbar gründlich überlegt zu haben, was es bedeutet, gesellschaftliche Aspekte für marketingtechnische Argumente heranzuziehen. Sicherheit (Volvo) ist unabhängig von sexueller Ausrichtung, Religion, politischer Einstellung oder sonstigen gesellschaftlichen Leitmotiven immer ein Argument für ein Auto. Was auch immer Jaguar mit der Werbung zeigen will, ist vollständig dem gesellschaftlichen und politischen Diskurs ausgesetzt. Wie kann man nur so daneben greifen?
Es bleibt also ein unverrüttbarer Grundsatz jeglichen Marketings: Man sollte bei den Werten bleiben, die einen stark gemacht haben und sie wenn, dann nur schrittweise und mit sehr viel Bedacht erweitern oder gar modifizieren. Und wenn man sie schon unbedingt aus welchen Gründen auch immer ändern muss, dann sollte die Begründung mehr nur als gut durchdacht sein. Sie sollte plausibel, vor allem aber nicht Trends und Schwankungen unterworfen sein.
Bravo, Volvo! Und schön war es, Jaguar, zumindest eine Zeit lang ein gewisses Flair transportiert zu haben, das nunmehr immer von der quietschbunten und mehr an Barbie erinnernden Werbung gestört sein wird. Die ganze Aktion erinnert mich an die Kids, die sich in Museen an die Wand geklebt haben, nachdem sie Farbe über Kunstwerke geschüttet haben. Ja, diese Aktion hat für einen kurzen Moment der Aufmerksamkeit gesorgt. Aber weder kann sich heute noch jemand daran erinnern, was ihr konkretes Anliegen war; und jeder hat damals wie heute nur den Kopf geschüttelt. Und die Bewegung hat es ihre Existenz gekostet. Vielleicht ist auch bei Jaguar „Letzte Generation“ das unausgesprochene Schlagwort.
- Einzig bemängeln würde ich, dass die neue Version der Werbung im Gegensatz zu der für den XC60 das Auto noch ein weniger in den Hintergrund treten lässt. In der alten Version für den XC60 gefiel mir besser, dass man im entscheidenen Moment das Fahrtsicherheitssystem für einen Bruchteil erkennen konnte, das bei dieser neuen Version nicht mehr zu sehen ist. Das entfernt die neue Werbung ein wenig vom Auto und fokussiert mehr auf die Fahrerin. ↩︎