Eine schöne, zum Tag passende Lofi-Compilation. Es regnet, in der Berggasse wird geheiratet, der Sommer ist zu Ende, wieder ein Jahr vorbei.
Habt ihr getan, was ihr euch vorgenommen habt? Den Sommer endlich nicht im Büro verbracht? Die Fehden mit Freunden und Familie endlich beseitigt? Die essentielle Frage endlich gestellt? Den Urlaub endlich gemacht? Das Projekt endlich begonnen? Oder seid ihr sogar schon einen Schritt weiter und wisst, dass der Urlaub nicht funktionieren, die Fehde nie beseitigt, die Frage nie gestellt werden und das Projekt nie begonnen werden wird? Jede Antwort ist besser, selbst wenn es weh tut, als ein Status idem.
Nutzt den Regen, die Stille und die Wärme eures Zuhauses, geht in euch und stellt euch diese eine Frage, die euch ohnehin euer ganzes Leben lang begleiten sollte: Geht es euch heute besser als vor einem Jahr?
Wenn ja, dann möchte ich euch beglückwünschen und euch gratulieren. Ihr könnt sofort aufhören, diesen Beitrag zu lesen und euch stattdessen etwas Gutes tun. Wenn die Antwort allerdings ein Nein1 ist, dann macht euch an, die Sache – euer Leben, nämlich! – endlich in den Griff zu bekommen.
Hört auf, euch die Gewalt der Agonie als Vorteil einzureden, die Bequemlichkeit des gemachten Nests als Luxus, die Fürsorge eines Dritten als Besonderheit und die Ablenkung durch Job, Hobby oder sonst etwas als Notwendigkeit des modernen Lebens, das in letzter Zeit ohnehin alles zu rechtfertigen scheint.
Die Stimme, die euch meine oben gestellte Frage beantwortet hat, ist leise, aber ihr habt sie bereits gehört. Sie hat in dem Moment, in dem ihr die Frage gelesen habt, bereits geantwortet und dafür keine Sekunde Nachdenkzeit benötigt. Ihr wisst ohnehin, jeder und jede für sich selbst, was Sache ist.
Vielleicht haben einige von euch bemerkt, wie euer Kopf, kaum, dass euch die Antwort auf meine Frage bewusst wurde, zu rattern begonnen und nach Ausreden gesucht hat, die euren gegenwärtigen Zustand rechtfertigen könnten. Schon habt ihr das Potential eures Denkens anstatt für die Beseitigung der Hürden, die euch zu diesem Nein auf meine Frage gezwungen haben, zu nutzen, den weniger anstrengenden Weg gewählt und sucht nun nach Rechtfertigung, Umdeutung und nach einer Möglichkeit der Einordnung.
Ihr verschwendet Energie, um Logiken und Kausalketten aufzubauen, die euer Versagen, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, rechtfertigen, erklären und plausibel machen sollen. Ihr habt euer Denken bereits so sehr auf die Rechtfertigung trainiert, dass euch dieser so viel mühsamere und keinesfalls nachhaltige Prozess des Denkens leichter fällt als die Beseitigung des Problems selbst.
Falls es übrigens noch nicht klar ist, wovon wir hier eigentlich sprechen: Die nachträgliche Rechtfertigung, warum alles so mies ist, wie es ist, eine Begründungskette, wieso es so kommen musste, bestenfalls so ausgeschmückt und umgedeutet, dass es so scheint als ob ihr keine Wahl hattet, irgendetwas anders zu tun… das ist es, dem Mechanismus der Lebenslüge beim Arbeiten zuzusehen.
Verschwendet also die wenigen Jahre, die ihr habt, nicht damit, an einer Erzählung über euch selbst zu arbeiten, die euch ohnehin niemand jemals glauben wird, sondern nehmt die Dinge selbst in die Hand, wagt den einen Schritt, der euch unweigerlich zum nächsten führen wird, und setzt alles darauf an, mir die Frage in einem Jahr mit einem eindeutigen Ja beantworten zu können.
Und wenn das grobe Einschnitte verursacht, eine Trennung von geliebten Personen, ein Abkapseln von der Familie oder das Aufnehmen eines Kredites, dann ist das, wenn kurzfristig auch schmerzhaft, insgesamt und auf Dauer gesehen eine gute Sache. Denn das kurzfristige Entbehren ermöglicht es, neue Personen kennen zu lernen, die man lieben kann, sich wieder vorsichtig an die Familie anzunähern und einen anderen Umgang zu etablieren, oder, ganz banal, aber um nichts weniger wichtig, endlich den Lebenstraum zu erfüllen, der einem bislang durch das eigene Ich (das geschaffene, erlogene, meine ich) verwehrt wurde.
Ihr wisst, was zu tun ist. Ich will nächstes Jahr ein Ja hören hier!
- Auf die Frage „Geht es euch heute besser als heute vor einem Jahr?“ gibt es als Antwort nur ein Ja oder ein Nein. „Gleich wie letztes Jahr“ ist ein eindeutiges, ja fast das schlimmste Nein überhaupt. ↩︎