Dein fetter Körper ist mein moralisches Problem

Ozempic gibt vor ein Problem zu lösen, versteckt allerdings nur das Symptom. Körper werden moralisierend betrachtet. Und dieses ganze Theater wiederholt sich immer und immer wieder.

Ein Artikel in der New York Times, der sich des Problems einer Kultur annimmt, für die Ozempic eine Lösung anzubieten scheint. Und da geht es nach einer kurzen Einführung ganz schön heftig zur Sache, wenn quasi-religiöse Moral und Körper zwei Seiten eines Arguments darstellen.

These drugs are blockbusters because they promise to solve a medical problem that is also a cultural problem — how to cure the moral crisis of fat bodies that refuse to get and stay thin. That many people don’t even question that eliminating fat people is an objectively good idea is why it is such a powerful idea. Thinness is a way to perform moral discipline, even if one pursues it through morally ambiguous means. Subconsciously, consciously, politically, economically and culturally, obesity signals moral laxity.

NY Times

Und weiter – und hier kommt der Besorgnis erregende Teil, der die Substanz einer Idee pervertiert und nur das Resultat als einzig erstrebenswertes Ziel präsentiert, während das eigentliche Ziel, der Weg dorthin, nämlich, außen vor gelassen wird. Wir kennen das vom Nutri-Score, der mittels Tricksereien in der Zusammensetzung eines Produkts, den schädlichen Inhaltsstoff (eigentlich eine E-Bewertung) durch übermäßige Nutzung eines anderen, der die Bewertung wieder in Richtung A hebt, aushebelt und so ein Produkt als gesund erscheinen lässt.

Abnehmtabletten gelingt ein Spagat, der Ursache und Wirkung voneinander enthebelt – in meinen Augen und in meiner Befürchtung früher oder später „auf Kosten der Gesundheit“, aber wann hat dieses Argument jemals gezählt: Das äußere Erscheinen eines moralischen Körpers – man möchte sich bei so einer Formulierung die Hände waschen – unter Umständen, die einen solchen Körper eigentlich unmöglich machen und aktiv daran arbeiten, ihn zu unterbinden. Die New York Times dazu:

There’s something seductive about a weekly shot that fixes the body while skipping right past the messiness of improving the way people have to live. Both diabetes and obesity are conditions that are as much about social policy as they are about what people eat. […] Crops the U.S. government subsidizes are linked to the high-sugar, high-calorie diets that put Americans at risk for abdominal fat, weight gain and high cholesterol. Sprawling communities, car-centered lives and desk jobs make it hard for many Americans to move as much as medical guidance thinks that we should. Under these conditions, telling people to change their lifestyle to lose weight or prevent diabetes is cruel.

Ich fasse also zusammen: Abnehmtabletten erfahren deswegen so einen Drive, weil praktisch alle Umstände es unmöglich oder nur sehr schwer möglich machen, einen Körper zu haben, der von der die Umstände produzierenden Gesellschaft als erstrebenswert angesehen wird. Nicht etwa, weil er als gesund oder anderweitig mit positiven Zielen belegt angesehen wird, sondern weil alles andere – fette, untrainierte Körper, that is – moralische Verwerflichkeit darstellen. Es könnte pervertierter und doppelzüngiger nicht sein.

Inequality of access to Ozempic and Wegovy is not between the deserving sick and undeserving obese. The inequality is in attaching any moral clause to why people use the drugs in the first place. As long as most Americans cannot afford the drug that democratizes weight, the stigma of obesity is still controlled by those who can afford to be thin. […] But solving for obesity will require more than drugs. It will require solving for a culture that makes being fat a woman’s burden, a means test for dignity, work, social status, and moral citizenry.

Klar, dass der Körper einmal mehr die zentrale Rolle in diesem Spiel einnimmt und zum Indikator wird. Hatten wir nicht ähnliche Argumente – Kinder kriegen: natürlich! Aber ja straff bleiben! – vor etwas mehr als 10 Jahren im Bereich der Intimchirurgie?

Es fasziniert mich immer und immer wieder, wie so banale Dinge wie die Form (oder die Farbe) eines menschlichen Körpers Gesprächsthema und Projektionsfläche moralischer (nun ja, wohl eher: moralisierender) Vorstellungen sein können. Das Wundern mag in der Abstraktion des geschriebenen Wortes tatsächlich existieren, ein Blick auf tendenziell bild- oder videolastigere Medien, allerdings, eröffnet ein anderes Bild.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert