Instagram Face

In den letzten Jahren habe ich mich selbst immer wieder dabei ertappt, Freundinnen und Freunde darauf hinzuweisen, dass sie bitte kein Instagram-Face machen sollen, wenn Fotos gemacht wurden. Ich habe ihr Instaface als unnatürlich und normiert empfunden, als einen sterilen Fremdkörper in einer lebendigen, und damit alles andere als sterilen, Situation, eine Werbeeinschaltung für das dahinterstehende Selbst. Ich habe es akzeptiert, denn „Bitte lächeln!“ ist ja auch nichts anderes, aber dieses Kommando überlässt es noch immer jeder und jedem einzelnen, seine eigene Interpretation abzuliefern.

Jia Tolentino stellt Ähnliches fest, doch geht sie noch einen Schritt weiter. Was bei mir lediglich die Pose ist, hat bei ihr Auswirkung auf die Physis dahinter: Social Media, Fotofilter und Schönheitschirurgie verändern unsere Körper. Sie schaffen ein kybernetisches Einheitsbild (eher: Einheitsgesicht), dem Menschen (vor allem, nämlich zu 92 Prozent, Frauen) so nahe wie möglich kommen wollen. In vielen Fällen mithilfe von Frisur und Makeup, in immer mehr Fällen, allerdings, durch plastische Chirurgie. Es ist nicht mehr die Pose, es ist bereits das physische Hinzufügen oder Entfernen körperlicher Substanz. Das Ziel?

It was as if the algorithmic tendency to flatten everything into a composite of greatest hits had resulted in a beauty ideal that favored white women capable of manufacturing a look of rootless exoticism. […] We’re talking an overly tan skin tone, a South Asian influence with the brows and eye shape, an African-American influence with the lips, a Caucasian influence with the nose, a cheek structure that is predominantly Native American and Middle Eastern. […] Technology is rewriting our bodies to correspond to its own interests—rearranging our faces according to whatever increases engagement and likes.

The Age of Instagram Face

Huch, das ging ja schnell. Von einer noch irgendwie nachvollziehbaren Auflistung von Vorzügen hin zur Feststellung, dass das Schönheitsideal ein algorithmisch bestimmtes ist? Ich bin mir nicht sicher, ob das abwegig ist oder nicht; sofern der Algorithmus lediglich auf Engagement und Likes reagiert, ist es immer noch der Mensch, der das Ideal bestimmt. Greift allerdings eine programmtechnische Änderung in den Algorithmus ein – beispielsweise ein Ideal, das eben nicht nur Engagement und Likes zum Maßstab macht, sondern auch die Vermarktbarkeit (im Sinne von „befähigt, mit Werbung bespielt zu werden“) – dann wird das menschliche Element durch ein kommerzielles ergänzt und die Kybernetik, von der Jia Tolentino im Untertitel spricht, ist vollends legitimiert. Das ist sie aber, in anderem Zusammenhang, ohnehin schon, denn der Eingriff ins natürlich gewachsene Erscheinungsbild ist nicht mehr Objekt einer Vorstellung des Ausbesserns eines Makels, sondern mittlerweile normale und weithin akzeptierte Maßnahme der als Optimierung wahrgenommenen Verbesserung.

For some reason, Instagram made [cosmetic surgery] more acceptable. Cosmetic work had come to seem more like fitness […] it’s become much more mainstream to think about taking care of your face and your body as part of your general well-being. It’s kind of understood now: it’s O.K. to try to look your best.

Aber was ist dieses „look your best“? Im Artikel werden die üblichen, langweiligen Normgesichter – Bella Hadid, Kim Kardashian, Kylie Jenner, Megan Fox, Lucy Liu, Halle Berry – als Marker für schönheitschirurgische Eingriffe gesetzt. „Man will so aussehen wie“ ist der Wunsch, aber ist dieses „aussehen wie“ das, was man als „your best“ verstehen will? Oder ist allein die Möglichkeit, so „aussehen zu können, wie“, bereits der Akt, auf den es ankommt?

Ein Paradoxon tut sich auf: Auf der einen Seite wird das generische „your best“ promoted, also eine aus ihrem Wortsinn heraus ultimativ individuelle Ebene des Seins. Auf der anderen Seite soll eben diese Ebene einem vermuteten Ideal entsprechen (also das genaue Gegenteil von „ultimativ individuell“), dem sich die zuvor genannten Normgesichter erfolgreich angenähert haben. Da dieses Ideal aber ohnedies nicht erreichbar ist, nicht nur, aber sehr wahrscheinlich auch, weil niemand so recht weiß, was es ist oder wie es aussieht, was ohnehin klar ist, da es im historischen und kulturellen Kontext einer kontinuierlichen Wandlung unterzogen ist, reicht es bereits, die Möglichkeit, dorthin zu kommen, als Erfolg des Wegs zu „your best“ darzustellen. Das genaue Gegenteil von dem, was promoted und argumentativ als Handlungsimpetus vorgebracht wurde („ich will zur besten Version meines Selbst werden“), ist also zum Ziel geworden: ein Versuch, das Originäre gegen das Abgeleitete zu ersetzen („ich versuche so zu sein, wie [diese Person]“).

Das fühlt sich nicht nur billig an und erinnert mich ein wenig an die Wandlung dessen, was einen trainierten Körper und eine gesunde Lebensweise definiert: Nicht das Resultat zählt, sondern der Weg dorthin – und zwar substantiell. Es ist völlig egal, ob man es schafft oder ob man zu dünn, zu dick oder zu ungesund bleibt. Nur der Versuch, ein Ziel zu erreichen, ist bereits das Ziel. Eigenartig, das alles, oder? Wo findet man da die Entscheidung, eben diesen Weg zu gehen? In der Person selbst? In ihrer Umwelt? Ist sie aus einem kulturellen oder historischen (oder gar wirtschaftlichen) Kontext ableitbar? Jia Tolentino meint, ja; doch ist es ausschließlich ein kommerzieller Kontext, der die Entscheidung bestimmt, nämlich der Instagram-Algorithmus, immer bedacht auf Engagement und Likes.

Und das macht die Dinge langweilig, eintönig, ja, fad: Genauso wie das Instaface, das ich eingangs erwähnt habe. Sieht man sich Fotos über längere Zeiträume an, könnte es in einer Fotomontage hinzugefügt worden sein. Die Person, die so stark an ihrer Selbstoptimierung gearbeitet hat, um immer optimal dazustehen und gut auszusehen, wird austauschbar. Die ohnehin schon paradoxe Selbstoptimierung wird abermals in ihr Gegenteil verkehrt. In der Rückschau siegt immer das Unklare, Unfassbare, Unerwartete und somit Generische und Interessante ausnahmslos. Das Normgesicht verliert, auch wenn es im Moment vielleicht „die beste Version eines Selbst“ war. Das Problem liegt halt darin, dass die beste Version eines Selbst oftmals die langweiligste ist, ein steriler Fremdkörper in einer lebendigen, und damit alles andere als sterilen, Situation.