McDonald’s, Sowjetarchitektur und ein ehrenhafter Tod

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In der Innenstadt Warschaus, gleich neben dem Kulturpalast, gibt es einen großen, in einer alten Glas-/Stahlkonstruktion eingefangenen McDonald’s. Dieses Lokal war das erste seiner Art in Warschau. Drei Fahnen mit einem gelben M wehen hoch über dem Platz und die knapp zwanzig Kassen laufen zu Mittag auf Hochbetrieb. Ein Menü nach dem anderen, ein Burger nach dem anderen wird hier verkauft. Man erzählt mir davon, dass am Eröffnungstag dieses Lokals vor ein paar Jahren die Menschenschlange mehr als drei Kilometer lang war, sosehr dürstete es die Bewohner dieser Stadt danach, nun endlich westliches Fast-Food zu sich zu nehmen, sosehr war McDonald’s zu einem Synonym für den Westen, zu einem Must-Have einer Kultur geworden.

Angeblich war das Lokal noch vor 12:00 Uhr ausverkauft und musste wieder geschlossen werden, der Andrang war zu groß. Angeblich hat jeder Kunde länger als zwei Minuten bei der Abfertigung gebraucht, weil man keine Speisekarten angebracht hatte und die Leute einfach nicht wussten, was es bei McDonald’s gibt! Heutzutage kann jedes Kind sicherlich alle Speisen von McDonald’s aufzählen noch bevor es überhaupt das Einmaleins beherrscht.

Damals war die Eröffnung des Ladens so etwas wie eine kleine Revolution. Das kapitalistische M prangte in Warschau markant an einer der besten Adressen, heute liegt das Lokal etwas abgelegen, weil davor ein Shoppingcenter eröffnet hat, das wie ein Magnet die Menschen in sich hinein zieht. Außerdem gibt es Pizza Hut und KFC wesentlich näher an den Bus- und Straßenbahnstationen, die am Hauptplatz alle an einer Ecke zusammenkommen. Wozu also den Kilometer auf die andere Seite gehen, wenn man Fast-Food auch gleich ums Eck bekommen kann?

Und doch, in den zwei Stockwerken des fast nobel anmutenden Lokals sitzen ein paar Menschen, essen, trinken und unterhalten sich, ebenso wie im Gastgarten vor dem Haus und dahinter, riesig und einen langen Schatten werfend, als Hintergrund, als Bildrauschen einer an sich perfekten Werbung, erhebt sich der Kulturpalast, ein Monument sowjetisch-sozialistischer Architektur, verhasst in Warschau, gedacht, um den Arbeitern dieser Erde Raum für Kunst, Kreativität und Kultur zu verschaffen, heute nicht mehr als eine Ansammlung an Restaurants, Konzert- und Kongressräumlichkeiten mit einem Panoramarestaurant in den oberen Stockwerken und dem pikanten Detail eines frühen Selbstmords: Den Kulturpalast – und nicht den Eiffelturm – wählte ein junger Franzose 1956 als Sprungbrett in den Tod, denn er war fest davon überzeugt, dass ihm der Tod an diesem Ort mehr zur Ehre gereichen würde als der von Touristen, Bettlern, Unterhaltern, Würstel- und Eisverkäufern überfüllte Eiffelturm.