Sonntagsarabesken #104

Ein Sturm zieht herauf am Horizont. Im verbissenen Kampf der mächtigen Winde zerreißt der Himmel, und aus der klaffenden Wunde bricht schwefelgelb die Sonne. Ein diabolisches, giftiges Licht ergießt sich unterhalb der pechschwarzen Wolken in die Ebene. Die Menschen stehen wie versteinert und starren zu ihren Göttern empor. Das Beben der Elemente scheint ihnen nahendes Unheil anzukündigen; im Rhythmus der Natur atmend spüren sie die Gefahr. Die Baumwipfel biegen sich unter den Attacken entfesselter Luftgeister. Staub wirbelt durch die Straßen des Dorfes. Die Frauen hüllen ihre Gesichter in schwarze Tücher. Wie ein dunkelgrauer Engel über den Rand der Wiege gebeugt säuselt so manche Mutter ein monotones Schlaflied. Es ist die Todesstunde. Die leeren Augen des greisen Priesters sind starr auf die Hügelkette gerichtet, hinter der sich die glutfarbene Sandwolke zu erheben beginnt. Zwei junge Mönche stützen den hinfälligen Körper, um den flatternder schwarzer Stoff geschlungen ist. Die Strafe wird geboren, murmelt der Alte, und sie wird über uns kommen, und sie wird erst vergehen, nachdem wir vergangen sind. Das Land wird sie verwüsten, und die Menschen wird sie töten, zu Tausenden, und das schwarze Kreuz wird sich über unsere Häupter senken wie das Richtschwert des Henkers. Die Bäume werden verbrennen, die Dächer verglühen, die Brunnen vertrocknen. Die Welt wird enden in einem Bad aus Hitze und Blut! – Die beiden Mönche tauschen nervöse Blicke. Der Schweiß steht ihnen auf der Stirn, während sich das apokalyptische Gebet des Greises in tonlosem Gestammel verliert. Sie haben sich stillschweigend geeinigt. Es wird Zeit zu verschwinden. Die goldenen Meßgeräte sind in großen Kisten verstaut, zwei Pferde stehen gesattelt im Stall. In drei Tagen ist die Stadt zu erreichen. Dort warten weiche Betten, kühler Wein und junge Frauen. Die Staubwolke klettert jetzt langsam über den Höhenrücken. Sie wälzt sich vorwärts wie ein urzeitliches Panzertier, über den Boden gleitend, sich in brutaler Wölbung nach dem Himmelsdach streckend, ein heißer, knirschender Mahlstrom, vor dessen Gewalt sich die Welt aufzulösen beginnt. Der Priester löst sich von seinen Begleitern. Mit ausgestreckten Armen bewegt er sich schleppend auf das Ungetüm zu. Wie ein plötzlicher Donnerschlag bricht eine unmenschlich verzerrte Stimme aus ihm hervor, deren Flammenzungen das weiße Haupt umlodern: Wir sind bereit zu sterben, du Moloch, wir sind bereit, uns dem Untergang entgegenzustemmen, du Untier, denn der Tod ist uns auf den Leib geschrieben, eingebrannt in unser Denken, wir fürchten es nicht, das Ende, und deshalb kannst auch du uns nicht erschrecken! Wir haben keine Angst vor dir! – Die Mönche weichen zurück. Die ersten Sandkörner prasseln bereits zu ihren Füßen nieder. Der Wind packt ihre Gewänder und zerzaust ihr Haar. Flucht. Jetzt. Doch ein schwarzer Fleck versperrt ihnen den Weg – mit jäh gezücktem Dolch springt der Blinde auf sie zu, dessen aschgraue Schläfen schon im nächsten Augenblick ein Kranz aus frischem Blut umgibt, und das Taumeln der Hingeschlachteten wird umfangen von sandigem Nebel, der das Ende gnädig bedeckt.